Carlsbad d. 10 Mai 1868
Hirschensprunggasse im Königstein.
Meine liebe Frau Ursi,
heute sind es nun schon vier Wochen, seit ich bei Ihnen war, und nichts mehr von Ihnen Allen weiß. Der liebe theuere Mann, wo ist er? ich kann nichts erfahren, und wüßte doch so gern, wie es ihm geht? ist er zurück? und wie geht es Ihnen und dem lieben Kathchen und Puppi und Hermännchen? wie war es in Bremen? Sie haben doch wieder gesungen, nicht wahr? war Brahms wieder befriedigt von der Aufführung? man lebt hier wirklich wie weggesetzt. Aber es ist wundervoll hier, eine herrliche Natur, jetzt in vollster Frühlings-Pracht! wir durchlebten dies Jahr drei Frühlinge, erst in England, dann in Deutschland und jetzt hier. Das unthätige Leben aber, was ich jetzt führen muss, ist mir entsetzlich, und ich ersehne das Ende des Monats. Leider werde ich Sie zum Kölner Musikfest nicht sehen, da mir nur die Wahl bleibt zwischen Cöln und Berlin, und schließlich doch das Mutterherz über das Künstlerherz siegt – ich kann mich nicht entscheiden meinen Jungen, der mir so viel Freude macht, zu täuschen. Ach, könnten wir doch den Sommer irgendwo ’mal zusammen eine Zeit verleben! ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich das wünschte, aber leider ist ja keine Aussicht dazu, wenn Sie wirklich nach Berlin ziehen!!! – Senden Sie mir ein Wort in die Einsamkeit liebe Freundin, grüßen Sie den lieben Jo und küssen die Kleinen von mir und Marien, die Ihnen herzlichste Grüße sendet. Felix ist mit uns, und es geht ihm ganz gut, auch haben wir von Julie aus Divonne gute Nachrichten; sie wird die Cur wieder gebrauchen.
Wie immer
Ihre
getreue
Clara Schumann.
Gehen Sie zu dem Mendelssohn Concert nach Leipzig? ich kann leider nicht, wenn es nicht verschoben werden kann.
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