Baden-Baden d. 5. Juni 1866
Lichtenthal Nro 14.
Lieber Freund,
endlich sitze ich wieder in Ruhe hier in meinem Häuschen, und nun will ich meinem Herzensdrange folgen ein Musestündchen mit Ihnen zu plaudern. Bisher war es noch immer ein unruhiges Hin und Her, aber, jetzt vom Musikfest zurückgekehrt, hoffe ich eine Weile still zu sitzen. Wie oft wir an unsere Wiener Freunde denken, brauche ich Ihnen wohl kaum zu sagen, aber daß wir gern zuweilen von ihnen hörten, will ich Ihnen doch sagen! – |2| Welch schwere Zeit machen Sie Alle jetzt durch! daran denken wir auch oft, obgleich es hier im Badenschen Lande noch so friedlich aussieht, daß man kaum an Krieg glauben kann. Wie störend muß diese böse Zeit auf alle Verhältnisse in Oestereich [sic] wirken? wie oft denke ich, könnte ich doch die armen Wiener Freunde hierher zaubern! wie würde ich mich freuen würde ich ’mal überrascht! –
Von meinen Erlebnissen läßt sich so sehr viel nicht erzählen: Salzburg hat mich natürlich wahrhaft entzückt, so herrlich hatte ich es mir nicht gedacht! der Concerttag dort brachte mir einige Unannehmlichkeiten: das Clavier war vom langen Liegen auf einem zugigen Corridor so verquollen, daß ich |3| den ganzen Abend auf zwei Saiten spielte, dann unterhielt sich ein junger Erzherzog während des ganzen Abend laut, vorn auf der ersten Reihe sitzend, mit einer schönen Dame, und dabei sollte mir die Inspiration kommen! und trotz Allem kam sie doch – die Natur, der wunderbare Anblick der Schneeberge, der mich am Morgen, wo ich allein aufs geradewohl aus der Stadt wanderte, überraschte, hatte mich so überwältigt, daß nichts mich mehr aus der erhabenen Stimmung bringen konnte. Leider konnte ich wegen meiner, noch vor dem Musikfest beabsichtigten Badereise nicht länger dort bleiben, und als ich nun nach München kam, wollte der Arzt dort die Carlsbader Cur vor der Anstrengung auf dem Feste nicht zugeben, und verordnete mir |4| das Wasser später hier zu trinken, womit ich natürlich freudig einverstanden war. Wir gingen nun von München hierher, richteten Alles wieder ein, dann reiste ich nach Düsseldorf, während Marie hier Haus hielt, und bin nun seit 8 Tagen wieder hier. Ich komme mir hier in dem kleinen aber schmucken Häuschen und bescheidenen Gärtchen, in dem ich jetzt schreibend sitze, wie in einem kleinen Paradiese vor. Und doch, brauche ich immer erst einige Wochen, bis ich mich wieder einlebe in die Ruhe. Sie werden verstehen, daß ich hier zu Haus mehr denn irgendwo fühle und schmerzhaft empfinde, was mir fehlt, und daß ich allein genießen muß, was Ihn so innig beglückt haben würde, |5| und Er so viel mehr verdient hätte als ich.
Von Johannes kann ich Ihnen nichts weiter erzählen, als daß er erst schrieb, er wolle Pfingsten hier <h> sein, worauf ich ihm rieth, doch die Schweiz noch mehr kennen zu lernen, was er denn nun auch thut. Ich erwarte ihn jetzt kaum vor Anfang July, wo dann auch alle meine Kinder kommen.
Das Musikfest ist nun auch vorüber, und, trotz der allgemein gedrückten Stimmung, war doch der Saal alle drei Abende überfüllt, und die Musik übte auch hier ihre Zaubermacht. Leider war nur nicht Alles zauberhaft, vollendet eigentlich fast kein Werk ausgeführt, da die Vorproben zu nachlässig betrieben waren. Die Lind sang |6| allerdings noch herrlich, <noch> und das Timbre ihrer Stimme ist noch immer über alle Beschreibung bezaubernd, aber sie huldigt oft dem Effect auf Kosten der musikalischen Intention, was mir von einem geistvollen Künstler immer unbegreiflich ist, und leider doch so oft der Fall. Den höchsten Kunstgenuß verschaffte Einem Stockhausen, der die H moll Arie aus dem Messias hinreißend schön sang – da war alles was ein warmes Musikantenherz sich nur wünschen könnte – „und es kam ein großes Licht“!
Von Joachim hatte ich kürzlich Nachricht, daß er nun wirklich seine Stelle in Hannover wieder angenommen, was mir im Grunde genommen doch sehr lieb ist. Mit Frau |7| und Kindern heimathlos sein ist doch gar traurig. Er wird mich im July hier besuchen.
Nun, lieber verehrter Freund, wann höre ich von Ihnen? bald? der Sicherheit halber recommandiere ich Dieses, thuen Sie eben so, bitte. Schreiben Sie mir wie es Ihnen Allen geht, ob Sie schon in Ihrem Garten sind, und was der liebe junge Meister schafft? welche Rollen hat er in letzter Zeit gegeben? was denkt er von seiner Ferienreise? ich fürchte dieser Sommer führt Keinen von Ihnen in’s Ausland und muß es freilich natürlich finden.
Grüßen Sie die liebe Frau von uns recht herzlich, eben so den theueren Freund, und seyen Sie stets versichert der treuen Freundschaft
Ihrer Clara Schumann.
[Umschlag]
Herrn E. [sic] Flatz.
Wien.
Stadt Riemerstrasse
Nro 14, 3ter Stock.
recommandirt.
frei.