Wiesbaden d. 14 Juni 1858.
Liebe Elisabeth,
Sie werden wohl Marieens Brief eben erhalten haben – ich konnte zu diesen Zeilen erst jetzt kommen, wollte Sie jedoch nicht gern so lange ohne Nachricht lassen. Ihr lieber Brief hat mich sehr erfreut – wie gern spräche ich über so Manches mit Ihnen, was man doch schriftlich gar nicht so gut kann. So kann ich Ihnen auch gar nicht genug aussprechen wie sehr günstige Veränderung ich an Marie wahrgenommen hinsichtlich ihres Wesens, sie ist weit mittheilsamer, sogar oft recht lebendig, und vernünftig kann man mit ihr sprechen; zu Ihnen hat sie große Zuneigung und äußerte mir neulich, was sie außer Ihrem sanften liebevollen Wesen am meisten zu Ihnen hinzöge sey die für sie so sehr wohlthuende Art und Weise, in welcher Sie von mir und ihrem Vater sprächen. Dies machte mir die innerste Freude, denn es zeugt doch jedenfalls von tiefem Gemüthe. Freilich konnte ich mich nicht des Gedankens erwehren, daß Sie, liebe Elisabeth, viel zu gut von mir sprechen, mich für viel besser halten, als ich bin – Sie kennen mich ja nur aus der Ferne, ehrten mich immer als Künstlerin, und meinen dies nun aufs Leben übertragen zu müssen, während ich täglich fühle, daß ich nicht so bin, wie ich sein möchte und sollte. Wie schön tragen Sie Ihr schweres Geschick, das Alleinstehen, mit welcher Kraft haben Sie Sich einer neuen Wirksamkeit geweiht, mit welcher Innigkeit leben Sie jetzt diesem neuen Berufe; wie kämpfe ich dagegen täglich das Leben zu ertragen und habe die Kunst, die Kinder und treue Freunde! wie arbeite ich an mir und kann doch gar nicht mich von der schrecklichsten Sehnsucht nach dem heißgeliebten Manne frei machen, und nicht von dem Grübeln, wie ich selbst das, was ich noch besitze, auch verlieren werde; die Kunst (die Ausübung) vielleicht durch den Rheumatismus oder sonstige körperliche Gebrechen, vielleicht durch Taubheit (ich höre doch oft, namentlich bei der großen Hitze sehr schwer), die Kinder jedenfalls, da es ja in den Verhältnissen liegt, daß sie außer dem Hause einmal ihre Existenz suchen müssen, die Fremde, wenn ich älter werde, wo dann die Schwachheiten nur immer mehr hervor treten, kurz, arbeite ich auch noch so sehr an mir, heiter in’s Leben zu sehen, ich kann nicht mehr, ich fühle mich zu gränzenlos unglücklich! all mein Glück bestand in Ihm; er war mein Licht, mein Leben, und Ihn habe ich verloren; auf ewig! und Ihnen, der Schwergeprüften, klage ich und schäme mich, daß ich’s thue, fühle aber auch, daß gerade Sie gewiß meinen Schmerz verstehen, und wo könnte man solchen wohl lieber tragen als in treuer Freundesbrust! und, sollte ich Sie nicht zu meinen treuen Freunden zählen, die Sie es täglich an mir und meinen Kindern beweisen? möchte mir einmal im Leben Gelegenheit werden Ihnen meine Dankbarkeit zu beweisen! – Die arme Marie hat eine recht lange Reise in der Hitze gehabt, sich aber sonst in Allem recht vernünftig benommen, recht selbständig, was mir überhaupt bei meinen Kindern eine gute Eigenschaft erscheint; ich habe immer darauf hingearbeitet von klein auf sie so viel als möglich zu gewöhnen, daß sie sich selbst helfen wo es möglich war. Thuen Sie das, bitte, ja auch bei der Kleinen, verwöhnen Sie sie ja nicht in Ihrer Güte und Sanfmuth [sic]. Marie erzählt mir von Eugeniens furchtbarem Eigensinn; ich bin aber der Ansicht, daß, wenn er und [bei] einem so kleinen Kinde in solchem Grade vorhanden, er nur durch Strenge zu beugen; mit Zureden erreicht man bei so kleinem Kinde nichts, aber wohl, wenn Sie sie zB. wenn sie sich weigert den Tisch zu decken, nicht mit am Tische essen lassen und ihr trocknes Brod geben; das schadet ihrer Gesundheit durchaus gar nicht, (bedenken Sie wie viele arme Kinder kaum Anderes die ganze Woche haben, und dabei groß und stark werden) und nützt mehr als alles Reden; dann thuen auch einmal Prügel ihre ganz gute Wirkung, sie müssen aber so sein, daß sie weh thuen, sonst sind sie ganz unnütz. Ich habe meine älteren Kinder gewiß nicht mißhandelt, aber trocknes Brod und Prügel haben sie doch manchmal bekommen und sind groß und gesund dabei geblieben, und haben mich doch auch lieb. Seyn Sie nicht bös, liebe Elisabeth, daß ich Ihnen das sage, doch ein inniger Verkehr ist meiner Ansicht [nach] nur durch größte Offenheit möglich. Was ich Ihnen nun heute noch ganz besonders mitzutheilen habe, würde mir unendlich schwer werden, hätte ich nicht von Marie gehört, daß Sie noch eine größere Reise beabsichtigen, worüber ich mich herzlich freue, denn das wird Ihrem Gemüthe gewiß eine Stärkung sein, und kommt vielleicht mein Beschluß Ihren Wünschen entgegen. In Göttingen ist nämlich seit einem Jahr ein Solbad, daß [sic] nach dem Ausspruche einiger der bedeutendsten Professoren (Chemiker) in Göttingen zu den wirksamsten in Deutschland gehören soll; zudem haben Grimm’s mir freie Wohnung in ihrem Hause angeboten, woran sich ein großer Garten zu unserer Disposition befindet, und außerdem in der Familie sich Alle sehr gern mit Kindern beschäftigen. Zwar würden wir uns sehr eng behelfen, jedoch hat man ja den Garten, worauf dann die Kinder lediglich angewiesen sind. Elise und Julie sollen im Nebenhause bei den Schwiegereltern wohnen. So kostet mich die ganze Sache bedeutend weniger, als in Saltzungen, und ich habe auch Elise noch einen Monat bei mir. Freilich würde es aber vielleicht bis zum 10–11 Juli dauern, ehe ich die Kinder kommen lassen kann, denn erst möchte ich doch wieder da sein, vielleicht aber geschieht es auch früher, worüber ich eben noch nicht ganz entschlossen bin. Ich weiß, Sie sind damit einverstanden, da es pecuniär für mich eine bedeutende Erleichterung ist, und der Zweck eben so damit erreicht wird. Von Meiningen [?] aus war noch dazu die Antwort auf meine Anfrage ungünstig, da die Anstalt Privat-Unternehmen ist. Ihre Anfrage wegen der 2 rh für Elise habe ich früher zu beantworten vergessen. Geben Sie sie ihr, man kann sich bei solchen Gelegenheiten nicht gut ausschließen. Ich danke Ihnen sehr für das neuerdings anempfohlene Buch von Otto Ludwig, von Dem mein Mann schon oft in Dresden sprach. Lebt er nicht in oder bei Meißen? Ich bin übrigens so mit Lectüre versehen, daß ich wohl kaum Alles lesen werde was ich bei mir habe, dazu kommt noch die ungeheuer reichhaltige musikal Bibliothek meines Wirthes, der namentlich die seltendsten alt-ital Musiken besitzt, wo ich möglichst viel kennen zu lernen suchen werde, was sehr abspannend ist, denn diese Sachen sind Alle in den alten Schlüsseln geschrieben, worin ich leider wenig bewandert bin, aber mir schon, ehe ich herkam, gerade dieses Studium sehr ernstlich vorgenommen hatte. Marie hat Ihnen wohl geschrieben, daß wir zufällig in dem Hause, wo ich erst abzusteigen eingeladen war, Wohnung bei derselben Familie gegen Miethe erhalten habe. Es liegt das Haus mit am schönsten, fern von allem Troubel mit der Aussicht auf die Berge, und ist auch bei der gränzenlose Hitze ziemlich kühl; trotzdem leide ich furchtbar daran, und dazu nun noch die heißen Bäder! Heute habe ich das Erste genommen.
Von Geschirr fehlt uns aber Manches, und ich muß Sie, liebe Elisabeth, bitten, mir Etwas zu schicken, und zwar recht bald.
1. Die Kaffeemaschine, welche ich immer hatte, mit dem Gestell, Lämpchen und Milchtöpfchen – und Tasse.
2. Mariens Butterbüchse.
3. Eine blecherne Kaffeebüchse, etwa die mittlerer Größe.
4. Das blecherne Zimmtbüchschen.
5. Die graue tönerne Zuckerdose.
6. Die runden Kaffeeflitrir-Pappiere [sic], die in der Speisekammer lagen.
Kleiderbürste aus meinem Waschtisch im Kasten rechts. Das Lothmaas.
7. 1 Quirl zu Eierkuchen.
Ich denke am besten, Sie lassen einen Einpacker es besorgen, wenn Sie nämlich Sorge haben, es allein zu thun. – Nun kommt aber eine ganz wichtige Sache. Meine beiden Instrumente sollen in Düsseldorf reparirt werden, und müssen daher gleich dorthin abgeschickt werden. Sie haben nun nichts weiter dabei zu thuen, als den Transporteur Albrecht (Woldemar weiß seine Wohnung) zu bestellen und mit Ihm zu sprechen, ob er mir Kisten dazu leihen will, die er dann im Herbst wieder bekömmt, und welche Vergütung er dafür verlangt? ist es nicht unmäßig, so lassen Sie Ihn die Claviere gleich einpacken, er besorgt dann Alles ganz gut und zuverlässig. Nur accordieren Sie Alles. Die Adresse in Düsseldorf ist: Herrn J. B. Klems, Pianoforte-Macher. Wollen Sie beide franco schicken – gegen 20 rh werden sie wohl kosten – Sie erhalten jedenfalls einen Schein darüber. Und nun noch eine Bitte: Wollen Sie mir wohl einen kleinen Auszug der Privat-Ausgaben, die Sie im Mai noch gehabt, sowie Dessen, was Sie in die Wirthschaft gebraucht (davon aber nur die Total-Summe) schicken. Ich rechne nämlich immer jeden Monat zusammen, und möchte es jetzt gern vom Mai thuen. Dann seyen Sie Anfang Juli wieder so freundlich. Aber ja nicht einzeln etwa die Wirthschafts-Ausgaben, denn diese schreibe ich in meinem Buche nur im Ganzen an. Jetzt thut mir aber mein Arm so weh, daß ich nicht mehr kann. Grüßen Sie Ihre liebe Schwester; Woldemar und Alle Andern herzlich. Ich verlange sehr nach Nachrichten von Ihnen, und haben Sie Dank für Alles, namentlich für die Liebe, mit der Sie so wohlthuend auf Marie gewirkt.
Leben Sie wohl, liebe Elisabeth. Von ganzem Herzen
Ihre
Cl. Sch.