Dresden, d. 28 Jan: 1850
Meine liebe theuere Freundin,
Dein Brief hat mir eine große Freude gemacht! welche Sehnsucht hatte ich von Dir Etwas zu hören, wie oft betrübte mich der Gedanke, daß Du mich, die ich Dich von frühester Jugend auf so innig verehrt, ganz und gar vergessen! in tausenderlei Vermuthungen erschöpften wir uns, einmal wähnten wir Dich in Paris, einmal in Rußland, zuletzt gar in Amerika, und mit Schmerz dachte ich daran, daß ich Dich vielleicht lange nicht wiedersehen sollte. Du hast diese bangen Zweifel gelöst, und mit der innigsten Freude denke ich an Dein Herkommen! das Eine beschäftigt mich nun, ob Du gerade Anfang März kommen wirst? wir reisen nämlich in 8 Tagen nach Leipzig, wo nun endlich Roberts Oper aufgeführt werden soll und zwar Anfang März. Welch eine Freude machte es mir, kämest Du zu der Aufführung nach Leipzig! nicht wahr Du schreibst mir noch Genaueres über Dein Kommen. Eines in Deinem so überaus lieben freundlichen Briefe hat mich doch unbefriedigt gelassen, nämlich, daß Du mich über Dich und Deine Zukunft so sehr im Dunklen läßt! wie gern kennte ich das Glück, daß Du jetzt genießt, wie viel lebhafter könnte ich dann noch mit Dir empfinden! ich kann jetzt nur vermuthen, daß Du Dich wieder verheirathen willst, und zwar denke ich mir in Curland oder Liefland. Habe ich Recht? nun, ich denke, Aug in Auge wirst Du mir vielleicht Dein ganzes Vertrauen schenken! – Mariane Carus hab‘ ich neulich all das Freundliche für ihren Vater mitgetheilt; unser erstes Wort, die erste Begrüßung am Abende seines Geburtstages warest Du, und mit Wehmuth gedachten wir des schönen Abendes vor’m Jahre. Ich glaube, so wenig interressant wie dies Jahr war der Tag wohl noch nicht gefeiert! Tichatschek hatte nämlich der Familie Carus versprochen irgend Etwas Interressantes für den Abend zu arrangieren; der Tag kam heran, die Leute waren geladen und noch wußte Niemand was ihm bevorstand; wenn irgend Einer aus der Familie Tichat. deshalb befragte, war er beleidigt, und meinte sie sollten es nur ruhig abwarten, und nun rathe welche die großen Thaten des Herrn T. [ichatschek] waren – er sang ein Dutzend Lieder von Schubert hintereinander, und Frl: Michalisi zwei mal hintereinander "Pardo" - was sagst Du dazu! – Die Familie war außer sich darüber, und , nachdem sich der Abend zu Ende neigte, mußte ich noch die Aufforderung zum Tanze spielen, was die Gesellschaft einigermaßen aus der Schläfrigkeit erweckte. Dies aber ganz unter uns! –
Musikalisches giebt’s hier fast immer nur Das, was man sich selbst vormacht. Wir haben wieder 5 Soireen gegeben, die wieder außerordentlich besucht waren, aber Du fehltest, Du, die Begeisterte und Begeisternde! ach, sängest Du doch einmal! wir geben noch eine sechste Soiree, wie herrlich, thätest Du es noch einmal! Doch Nein! halte mich nicht für so unverschämt, es ist nicht im Ernst, daß ich Dich bitte und möchte doch so gerne Ernst sein! verzeih‘ das Geschreibsel. Der Prophet macht jetzt die Leute hier verdreht, Alles rennt gegen einander, und Alles schreit Meyerbeer Meyerbeer. Unausstehlich ist dies! und wäre es nur noch die Musik, die die Leute beschäftigt, aber nein, die Schlittschuhlauferei ist’s, die Alles von oben bis unten exaltirt! Lüttichau versäumt keine Probe von dieser Lauferei, und das Geld fliegt mit vollen Händen hinaus, 16000 Thaler soll die Ausstattung kosten. Meyerbeer ist selbst hier, und wird der ersten Vorstellung Uebermorgen beiwohnen. Wüßten wir nicht jetzt schon den Erfolg hier in Dresden im Voraus, so wartete ich noch mit der Absendung dieser Zeilen, doch, wie es die Juden machen, und nun gar Dieser, das ist uns ja nichts Neues. Ich schreibe recht boshaft, nicht wahr Liebe, Du erschrickst vor mir, aber ich kann <ich> nicht ruhig sein, wenn ich sehe, wie so ein Mensch mit seiner schlechten gemeinen Musik (was ich aus dieser Oper kenne ist es im wahren Sinne des Wort’s) die Leute förmlich um den Verstand bringt. Doch genug! – Nun zur Beantwortung Deiner Anliegen: Was die Aufführung des Stabat Mater von La Trope betrifft, so ist mein Mann gern bereit es im Verein singen zu lassen, doch was eine Aufführung in der Katholischen Kirche anlangt, so kann er leider dazu gar nicht thuen, da Wagner nicht mehr hier ist und wir mit Reissiger nicht in die geringste Berührung kommen. Mein Mann meint übrigens, daß eine Aufführung dort der Sache von keinem großen Nutzen weiter sein könne. Ich denke, da Du doch bald Selbst kömmst, läßt sich besser mündlich darüber sprechen, was wohl zu thuen seӱ um den gewünschten Erfolg zu erreichen. Meinst Du nicht auch?
Das Pianoforte will ich Dir gern aussuchen, nur kann ich es nicht hier thuen, da Lendel fast Keine mehr kommen läßt, weil der Handel zu schlecht geht. Mein Vorschlag wäre der, ich spräche mit Härtel in Leipzig, und hat Dieser Keine zu 300 Th[a]l[e]r: (was ich fast glaube) so gehe ich zu Schambach und suche dort Eines, oder willst Du das lieber, so warte ich bis Du Selbst nach Leipzig kömmst, und wir suchen es dann zusammen aus. Du brauchst mir nur eine Zeile nach Leipzig zu schreiben, wie Du wünschst, daß ich thue.
Vielleicht interessirt es Dich zu hören, daß Robert sein >Paradies und Peri< hier aufgeführt, und die Zuhörer so in Enthusiasmus versetzt hat, daß er es 8 Tage darauf wiederholen mußte. Nach dieser Aufführung haben sich nun mehrere Enthusiasten vereint, und thuen alle Schritte um Robert als zweiten Capellmeister hier angestellt zu sehen, doch Du weißt, was dazu gehört mit so einer Sache durch alle Intrigen (die nie ausbleiben) hindurch sich zu kämpfen, und mein Mann fühlt sich zu solchen Operationen auch zu gut, er würde keine Schritte thuen, ehe er nicht schon voraus wüßte, daß er eine Zusage erhielte. Man hat meinem Manne die Musikdirector-Stelle in Düsseldorf angeboten, und er hat sich eine Entscheidung bis Ostern vorbehalten; die Stellung bietet manche Annehmlichkeiten, und geschieht hier nichts, daß ihn hier halten kann, so gehen wir im Sommer dorthin. Der große Umzug ist es, was uns die Entscheidung erschwert, doch, das übersteht sich am Ende auch, und die Stellung hat Vieles für sich! – In unserer Familie geht Alles nach Wunsch – der Himmel schenkte uns im Julӱ wieder einen lieblichen Knaben, der Andere gedeiht auch uns zur Freude, kurz, wir können dem Himmel nicht genug danken für die Freude, die er uns in unseren blühenden Kindern gewährt. Robert ist auch recht wohl immer gewesen, und hat sehr fleißig geschaffen. Wie oft habe ich gewünscht, ich könnte Dich einmal so recht mit Muse und in Ruhe mit vielen Seiner Sachen bekannt machen, Du würdest ihn noch ganz anders kennen lernen; seine Sachen, so z.B. auch seine Orchester-Sachen verlangen durchaus ein tieferes Eindringen, was bei einem so bewegten Leben, wie Du es hier führen mußtest nicht möglich war. Du kennst ihn fast nur als Lieder-Componist, nicht als Schöpfer großer, breiter Werke. Dir, verehrteste Freundin, darf ich schon offen so sprechen, nicht wahr! Nun aber will ich zum Schluße eilen, und bitte Dich, schreibe mir ja recht bald noch einmal nach Leipzig genau, wann Du kömmst, und ob nach Leipzig? auch, wie ich’s mit dem Instrument machen soll! Willst Du einen Stutz-Flügel, so kostet Dieser höchstens 250 Thlr.
So lebe denn wohl, nimm die herzlichsten Grüße meines Mannes, und freue Dich nur einen kleinen Theil so auf unser Wiedersehen als ich, so bin ich schon zufrieden.
In innigster Liebe, Verehrung und Dankbarkeit
Deine Clara Schumann.
NB: Da fällt mir noch ein, daß ich vergessen habe Dich zu fragen, ob Du den Geheimerath Zenker genauer kennst? ich wünschte dies zu wissen, warum, will ich Dir mündlich sagen. Dann vergaß ich auch noch zu erwähnen, daß wir in Leipzig jedenfalls bis zum 8ten oder 10ten März, vielleicht auch bis Mitte März bleiben.
Addio nochmals! –