23.01.2024

Briefe



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ID: 6457
Geschrieben am: Mittwoch 28.02.1838
 

Brixen den 28sten Februar 1838
Euer Wohlgeboren!
Hochverehrtester Herr!
Am 8ten July 1837 bin ich zum erstenmal in Kenntniß gekommen von der Existenz der neuen Zeitschrift für Musik.
Ein entfernter Freund überschickte mir das (am erwähnten Tag erhaltene) Blatt No 29 den 7ten Octob. 1836, worinn meine Fantasie über das Händelsche Fugenthema in Fis moll – rezensirt wird.
Durch die (ich weiß nicht, aus wessen Veranlassung) geschehene Aufnahme meines Compositionsversuches in die neue Zeitschrift – finde ich mich geehret; aber auch betrübet durch das hierüber ausgesprochene ungünstige Urtheil.
Nach dem angenommenen Richter Maaßstabe, daß jetzt kein Musikwerk als werthvoll passirt, und gefällt, das nicht in dem neumodischen Kleide erscheint, muß sich meine vor vielen Jahren – zwar nach regelmäßigen Harmonie-Plane, doch nicht im jetzigen Geschmacke entworfene Composition das Urtheil in dieser Hinsicht gefallen lassen.
Es wird aber wohl kein vernünftiger Musikfreund |2| einseitig angenommenen neuen Maaßstab als richtig anerkennen. Es sind, und bleiben immer noch ohne Vergleich zahlreicher Musikkenner, welche in den solidern Werken der ältern Klassiker z. B. Clementi, Mozart, Haydn, u. viele andere ppp einen größern Werth und mehr Vergnügen finden, als in den neumodischen Erzeugnissen.
Auch giebt es noch viel mehrere – in früherer Zeit gebaute Klavikorde, und Fortepiano nur von 5, Höchstens 5 1/2 Oktaven, für welche die neuern Kompositionen ganz unbrauchbar sind.
Die Besitzer der ältern Klaviere, die sich am liebsten mit den klassischen Kompositionen der Vorzeit und Mittelzeit unterhalten, sind froh, wenn sie wieder einmal ein – für ihr Instrument brauchbares, und nach ihren soliden Geschmack bearbeitetes gutes Stück erhalten.
Ich selbst unterhalte mich am liebsten auf meinem vortrefflich tönenden Schmalischen Klavikorde, bey dessen alleinigen Gebrauche ich alle meine Kompositions-Aufsätze entworfen habe. Ich besaß schon fünf neugebaute Fortepianos, wovon ich eines (um 300 f angekauftes) einem Institute zu Innsbruck ganz gratis geschenket, die übrigen vier mit freiwilliger Einbuße |3| aus Gutmüthigkeit andern überlassen habe. Mein liebes angewohntes Klavikord ersetzt mir die freywillige Vermissung eines noch so neuen Fortepiano.
Daher kommt es, daß manches, was auf dem Klavikorde die beßte Wirkung macht, auf dem Flügel weniger entspricht.
Zur Beurtheilung meiner Kompositionsversuche muß ich mir die Freyheit nehmen, Euer Wohlgeboren von meinen Amts und Lebensverhältnissen einen kurzen Ueberblick zu geben.
Nach einem siebenjährigen Aufenthalt in München – kam ich im J. 1798 (mithin vor 40 Jahren) nach Brixen, einer kleinen unmusikalischen Stadt, wo mein Beruf nicht Musik, sondern die amtliche Anstellung beym f. b. Consistorium ist, anfangs als Sekretär, seit dem J. 1816 als wirklicher geistlicher Rath.
Aus Vorliebe für die wissenschaftliche Musik verwendete ich hierzu alle außeramtliche Privatzeit; entwarf sehr viele Aufsätze, und genealogische Tabellen über die Bestandtheile der Harmonie, und deren praktische Anwendung.
|4| Ich phantasirte zur eigenen Unterhaltung auf meinem Lieblings-Klavikorde über verschiedene mich ansprechende Themata, gab mir Mühe, bisweilen einige der phantasirten Idäen zu Papier zu bringen, und daraus ein geregeltes Ganzes zu entwerfen.
Eine andere Veranlassung zu vielfachen Aufsätzen gab mir der Umstand, daß ich von Zeit zu Zeit aus christlicher Nächstenliebe mehrern talentvollen Subjekten pp ganz unentgeltlichen Unterricht vorzüglich im Harmoniefache – nach selbstentworfenen Plane – ertheilte; wodurch ich zu ihrem bessern Fortkommen beyzutragen das Vergnügen hatte.
NB Die anliegenden nicht wieder zurückzusendenden Briefe (neben vielen andern bey mir hinterlegten) dienen zur Bestättigung.
Meine Kompositionsversuche, die nie zur Veröffentlichung bestimmt waren, würden noch jetzt (wie noch andere) im Manuscript geblieben seyn, wenn nicht mehrere Freunde, (auch vornehmen Charakters pp) den Wunsch wiederholt hätten, von mir ein gedrucktes musikalisches Andenken zu erhalten. Zu diesem Ende fand ich mich – nicht aus Authorsucht, noch weniger aus Eigennutz bewogen, einige (aus Erfahrung beliebte) Klavier-Kompositionen |5| der Falterischen Handlung in München zur beliebigen Lythographirung zu überlassen.
Ich verlangte kein einziges Honorar Exemplar, und erhielt auch keines, sondern ich kaufte um baares Geld ein [sic] bedeutende Anzahl der Exemplare, die ich alle [sic] meinen Freunden als Andenkens Geschenke gratis zueignete.
Über die Entstehung und Beschaffenheit der rezensirten Fantasie erlaube ich mir zu bemerken:
Anfangs versuchte ich, über das Thema meiner Lieblings Fuge von Händel eine andere Fuge nach meinen eigenen Idäen zu entwerfen.
Als die Fuge fertig war, fand ich das Thema auch zur Bearbeitung in der Form einer Sonate geeignet.
<Zug> Zuletzt glaubte ich auch eine Einleitung beysetzen zu müssen um ein homogenes Ganzes zu bilden.
Die Hauptabsicht war immer die Beybehaltung des gewählten durchaus gleichen Thema, und dessen schulgerecht abwechselnde Durchführung in mannigfaltigen, und doch zur Einheit gehörigen Formen.
|6| Und so entstand diese – schon vor vielen Jahren entworfene und erst vor kurzen nach dem Wunsche mehrerer Musikfreunde ebenfalls zum Drucke beförderte Versuchsarbeit.
Ich wünschte, daß ich nicht nur diese Fantasie <Fantasie>, sondern auch die übrigen – sowohl gedruckten als noch ungedruckt im Manuskripte vorliegenden Kompositionen auf meinem vortrefflichsten Klavikorde mit eigenen – eben so natürlich leicht und ruhig, als schnell dahin fließenden Händen vor dem hochverehrten Hhn Rezensenten und andern Musikfreunden vortragen könnte. Ich dürfte sicher hoffen, Sie würden mit der doppelten Leistung: – des Vortrages sowohl, als auch der – eben durch den geeigneten ausdrucksvollen Vortrag erhobenen, übrigens systematisch geordneten Komposition ganz wohl zufrieden seyn.
Auch das junge Volk würde nicht lachen, sondern sich erbauen, und selbst das planmäßige Ueberschlagen der Hände, wodurch der Satz der rhythmischen Mannigfaltigkeit wegen bald in der Höhe, bald in dem Baß gehört wird, von guter Wirkung finden.
|7| Einige ironische Darstellungsbilder (z. B. auf Zöpfe verpicht seyn; – über die vielen lachenden Gesichter erschrecken, u. a. m. hätten wohl wegbleiben können) sie dienen nicht zur freundlichen Belehrung, sondern nur zum beleidigenden Lächerlich machen. –
Ein mehr humaner Ton würde dem Herrn Rezensenten – neben der Achtung, die seinem Kentnißreichen Kunsttalente im hohen Grade zuerkannt wird, – auch eine mehr zutrauliche Annäherung und Liebe erwerben.
Zum Aufbau der Fuge sind 4 Motive gewählt, und so manigfaltig [sic] und originell in einander verwebt, daß ich den Platz nicht finde, wo ein mehr gesteigerter anzubringen wäre. Das vor dem Schlusse – auf dem Orgelpunkte gewählte 4te Motiv nimmt sich bey diesen – im floriden Style bearbeiteten – Fantasiefuge, wie ich meynte, am beßten aus.
Auch Händel der unerreichbare Baumeister, hat sich auf dem Orgelpunkte seiner Fuge mit einem minder kunstreichen Aufbau begnüget.
Durch die am Ende beygefügte sehr freundliche Aeußerung, an meinen weitern Leistungen gütigen |8| Antheil nehmen zu wollen, sehe ich mich insbesondere geehrt, und danknehmig aufgemuntert, daß ich es wage, Euer Wohlgeboren p die anliegenden 4 lythographirten Klavierwerke im hochachtungsvollen Zutrauen zu präsentiren, und höflichst zu bitten, denselben die große Ehre der gütig nachsichtigen Aufnahme, und Hinterlegung bey den übrigen Eigenthumswerken nicht zu versagen.
Diese sind:
a) 16 Variationen über ein selbstgewähltes Pastoralthema. (Gdur)
NB Die lythographische Fehler habe ich mit Bleistift verbessert.
b) 16 Variationen (Asdur) über den beliebten Wiener Trauerwalzer
c) 52 Kadenzen über ein einfaches Accordenthema.
d) Fantasie in C, zur melodischen Anwendung einiger Fingerübungsformen.
Die zwey letzten sind absichtlich für Schüler und Schülerinnen bestimmt, denen selbe – nach allseitigem Zeugnisse der Klavierlehrer mehr Nutzen und Vergnügen bringen, als die meisten andern im Stiche vorhandenen p.
|9| Die 2 Werke Variazionen entstanden aus den Idäen eines selbstdenkenden, mit den Harmonie-Grundsätzen, auch mit dem soliden guten Geschmacke wohl vertrauten Privat-Musikfreundes, der mit dem eigenhändigen Vortrage seiner eigenen, vorzüglich dieser zwey Kompositionen den zuhörenden Kunstfreunden ein größeres Vergnügen macht, als mit der Produktion neumodischer Klavierstücke; denn man bemerket dabey nicht blos mechanische Fingerübungen, sondern bey jeder einzelnen Variazion einen eigenen, originellen und gehaltvollen Charakter, der sich in homogener Einheit des ganzen konzentirt.
Wenn Euer Wohlgeboren, wie ich wünsche, auch die beygelegte (ungedruckte) M.S. Fuge in Gmoll Ihres Beyfalls nicht ganz unwürdig finden, so erlaube ich mir zu bitten, dieses Manuscript ebenfalls als ein Zeichen meiner Hochachtung eigenthümlich behalten zu wollen.
Der nämliche entfernte Freund hat mir auch das Blatt No 39 der neuen Zeitschrift dd° 14 Nov. 1837 zur Kenntniß mitgetheilt, welches Blatt ich erst am 1 Feb. d. J. |10| erhalten habe. In diesem werden 2 Kirchengesänge: Ave Maria, und O Salutaris hostia, sehr übel hergenommen.
Ich habe nicht vermuthet, daß Hh. Falter gerade diese zwey Kleinigkeiten auf die neue Schlachtbank eingeliefert hat, die ich selbst als die geringste, doch nicht gar so schlechte Arbeit gehalten, wie sie der Hh Rezensent C. F. B. in den böswillig ausgesuchtesten Erniedrigungs Ausdrücken der Welt darstellte!!
NB. Man möchte glauben, daß es in den vor andern Nationen gebildeten Sachsen keine so unfreundliche – – Kunstmänner geben sollte! –
Ich habe diese Kirchengesänge schon vor einigen Jahren für einen mich ersuchenden Landorganisten entworfen. Dieser theilte sie auch andern mit. –
Uberall, selbst in der akademischen Kirche zu Innsbruck wurden sie, und werden noch jetzt öfter zur frommen Erbauung der Zuhörer gesungen.
Um den Theilnehmern das Abschreiben zu ersparen übergab ich auch diese dem Hh. Falter zur freyen Disposition, dem ich zur Gratis-Vertheilung eine bedeutende Zahl der lythographischen Abdrücke ebenfalls um baares geld abkaufte.
|11| Die Komposition kostete mich wenig Zeit, und keine andere Mühe, als die sorgsam Bedachtnehmung, eine leicht faßliche angenehme, und den Text möglich genau ausdrückende Melodie zu setzen.
Ein billiger, der lateinischen Sprache kundiger Rezensent würde dieses – zu einem guten Gesangstücke wesentlich erforderliches Bestreben der Textcharakteristik nicht übersehen haben. –
Die altherkommlichen (in den Kirchenkompositionen, Präludien und Fugen p von klassischen Tonsetzern öfters angewendeten) Septimengänge nehmen das Bürgerrecht in Anspruch; sie machen keine unangenehme Wirkung: vielmehr werden sie gerne gehört, besonders dann, wenn die absichtlich gewählten Wiederholungssätze mit harmonischen Bindungen verwebt sind.
Dagegen finden die trockenen, und schwerfälligen Choral-Accorde keinen Beyfall; – obschon ich für meine Person ein besonderes Vergnügen an guten Chorälen habe, und deßwegen mehrere ankäuflich besitze; unter andern die zwar nicht für das Ohr, wohl aber für den Geist interessanten |12| 371 Choräle von dem großen J. Seb. Bach, von welchem ich auch die meisten übrigen Klavierwerke vergnüglich besitze.
Ich hoffe, daß es der hochgeschätzte Titl [?] Herr C. F. B. nicht ungütig nimmt, wenn ich so frey bin, Wohldemselben die anliegenden zwey Manuskripte (die Originalfuge von Hændel, und die von mir hierüber bearbeite Fuge) gehorsamst zuzueigenen, mit der höflichsten Bitte, dieselben als ein kleines Andenken von mir in gütiger Nachsicht aufnehmen zu wollen.
Meine größern, mit mehr Fleiß und Aufmerksamkit bearbeiteten Gesang-Kompositions-Versuche kann ich nicht mittheilen: sie sind im Manuskripte, und sind zur öffentlichen Bekanntgebung nicht beabsichtigt.
Dergleichen sind:
Te Deum laudamus; Lytaney; Psalm Venite, Gelegenheits Cantate, Stabat Mater. u. v. a. Die zwey letztgenannten Versuche sind vor wenigen Jahren bearbeitet, u. mit allgemeinem Beyfall produzirt worden: worüber ich die nähern Umstände aus anspruchsloser Bescheidenheit verschweigen muß.
|13| Nur erlaube ich mir, von der Cantate den Text; vom Stabat Mater den Plan zur musikalischen Charakteristik des lateinischen Textes; und von dem durchaus im Kirchenstyle mit fugirten Nachahmungen – schon im J. 1800 virstimmig gesetzten Psalm Venite den letzten Satz; dann auch den (nach dem Wunsche unsers hochwürdigst. Hh. Fürstbischofes entworfenen) 4stimmigen kurzen Kirchengesang: Ecce Sacerdos p im Anschlusse gehorsamst mitzutheilen.
Die hierzu gesetzte – einfache, in feyerlich rhythmischer Würde mit abwechselnder Annehmlichkeit logisch fortschreitende, und dem Texte anpassende Melodie – von guten Sängern vorgetragen – verfehlet den Endzweck der frommen Erbauung, und kirchlichen Andacht nicht.
Möge dieses kleine Kirchenstück auch von Euer Wohlgeboren, mit Nachsicht aufgenommen, wenigst nicht getadelt werden! –
Es kann ja auch in der musikalischen Welt nicht alles ganz neu, nicht alles ganz vollkommen seyn. Auch das Unvollkommene hat noch immer etwas Gutes, das einer empfehlenden Erwähnung werth ist.
|14| Können und wollen Euer Wohlgeboren p nach eigenen Ansichten meine musikalischen Versuche nicht ganz beyfällig genehmigen: so empfehle ich doch meine von dem Publikum geachtete Persönlichkeit Ihrem nachsichtig freundlichen Wohlwollen; und bitte die Versicherung zu genehmigen, daß ich mit vollkommener Hochachtung bin
Euer Wohlgeboren
ganz ergebenster Diener
J. A. Ladurner mpa
P.S. Ich bin so frey, auch 2 gedruckte Berichte über den Musikverein zu Innsbruck (18 Stunden von Brixen entlegen) mitzutheilen, deren Durchlesung Euer Wohlgeboren, und den hochverehrten Herren Mitarbeitern pp nicht unangenehm seyn dürfte.
|15| P.S. Ich bitte recht zutraulich, Euer Wohlgeboren p wollen das anliegende Geld (12 f nach hier bestehender R. W.) nicht als eine Belohnung p – sondern lediglich nur als ein Zeichen meines erkenntlichen Gemüthes, und als Ersatz für die wegen meiner veranlaßten Postauslagen p – in stillschweigender Nachsicht – gütig aufnehmen.

  Absender: Ladurner, Josef Alois (902)
  Absendeort: Brixen
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 27
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Österreich, Ungarn und Böhmen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Carlos Lozano Fernandez und Thomas Synofzik / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-052-0
903-910

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 6 Nr. 887
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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