23.01.2024

Briefe



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ID: 468
Geschrieben am: Donnerstag 05.06.1828 bis: 19.06.1828
 

Leipzig den 5ten Juny 1828.
Mein theurer Rosen!
Heute ist der 19te Juny; so lange hat es leider gedauert, ehe ich den Brief fortsetzen konnte – Ach! wer doch mit Dir in Heidelberg wär – Leipzig ist ein <> infames Nest, wo man seines Lebens nicht froh werden kann – das Geld macht reißende Fortschritte und mehr als man in Collegien u. Hörsälen machen kann – eine Bemerkung, die geistreich genug aus dem Leben zu greifen ist u. noch dazu aus meinem. Hier sitz’ ich nun ohne Geld, ohne Alles im stummen Vergleichen der Gegenwart mit den jüngst verfloßenen Stunden, die ich mit Dir so innig, so heiter verlebte, und bleibe sinnend vor deinem Bilde stehen u. vor dem komischen Schicksal, welches <denn[?]> die Menschen auf so entgegengesetzten Wegen zusammenführt, vereint u wieder aus einander reißt. Du sitzest vielleicht jezt auf den Ruinen des alten Bergschlosses u. lächelst vergnügt u. heiter die Blüthen des Junys an, während ich auf den Ruinen meiner eingesunkenen Luftschlösser u. meiner Träume stehe u. weinend in den düstern Himmel der Gegenwart u. der Zukunft blicke.
Himmel! Dieser Brief scheint ja entsetzlich ernst zu werden u. das soll er bei Gott nicht; melancholische Gesichter, wie Deines u. anderen Leuten ihres, müßen aufgeheitert werden, auf dß sie lächeln wie ein verklärter Vollmond oder wie eine Pfundrose u. meinen melancholischen Ernst will ich vor mich behalten, weil <sich> es doch die Menschen wenig interessiren kann, ob ich lächle oder weine.
Meine Reise über Regensburg war verflucht ennuyant u. ich vermißte Dich nur zu sehr in diesem Erz-Katholizismus. Ich mache nicht gerne Reisebeschreibungen u. vollends solche, weil sie ekelhafte Gefühle aufrühren, welche in d Erinnerung unterdrückt werden müßen. Es reiche hin, Dir zu sagen, dß ich recht innig an Dich dachte, dß mir das Bild der lieblichen Clara im Traume u. im Wachen entgegen schwebte u. dß ich recht von Herzen froh war, wie ich meine <,> alte geliebte Heimathsstadt Zwickau wiedersah. Ganz Zwickau war bestürzt, wie ich nur einige Stunden dableiben wollte; denn in Zwickau hatte noch kein Mensch etwas von Augsburg, München etc. etc. gehört, geschweige denn etwas davon gesehen; sie wollten also etwas davon erzählt haben; ich aber war unerbittlich, drückte mich nach 3 Stunden, die ich dort blieb, in eine Ecke des Postwagens u. – weinte recht innig u. dachte über Alles nach, was mir schon vom Herzen gerißen ward u. noch zertrümmert vor mir liegt u. sann über mein wildes Schlaraffenleben nach, was ich seit 8 Wochen geführt hatte u. leider jezt noch führe. Du irrst Dich gewaltig, wenn Du glaubst, ich sey liederlich – nicht die Probe – ich bin ordentlicher, als ich seyn könnte – aber ich befinde mich hier ganz erbärmlich u. das Studentenleben scheint mir zu niedrig, als dß ich in dieses stürzen sollte. Ich war nicht Uebel Willens, Dir meine Ideen über Burschenschaft etc. ausführlicher auseinander setzen; aber solche Sachen erschweren das Briefporto gewaltig, da es Dich ohnehin schon 8 gr. 6 P kostet.
Mein angenehmer Rosen? wie geht es Dir denn? Heut’ ist herrliches Wetter – gestern war ich im Rosenthale u. trank eine Tasse Kaffee etc. etc. Denn Briefe zu schreiben u. nicht zu wissen, was man schreiben soll, ist eine schwierige Aufgabe – die verfluchte Feder will auch gar nicht schreiben u. Dein Kopf wird ohnehin in der Entzifferung dieses Hieroglyphen-Sanskritt zerbrechen; Du kannst ihn aber zu Deinem Bruder in Paris schicken, der ihn schon verballhornisiren wird. Ich bin heute ganz entsetzlich lustig, wenn Dich das interessirt, aus dem einfachen Grunde, weil ich kein Geld habe u. es dann Mode ist, fideler zu seyn, als wenn man welches hat. Angenehmer Rosen? ich frage noch einmal, wie befindest Du Dich denn – es ist schrecklich, acht gute Groschen zahlen zu müssen, um dies zu erfahren; |2| aber es geht nicht anders; die Welt haut sich gegenseitig über die Eselsohren u. deshalb kommt Gleichgewicht hinein. Und doch freut mich jede Zeile, jeder Brief von Dir innig u. ich will gern bezahlen, wenn ich nur von Dir Briefe erhalte.
Es wird Dich interessiren zu hören, dß Renz sich mit dem Grafen Brühl in Zweynaundorf paukte, dß ich dabey den würdigen Posten eines Schleppfuchses abgab u. dß Renz einen tüchtigen Nachhieb in der rechten Seite besah. Renz hat übrigens vorgestern der ganzen Lusatia aufgebrummt – lauter welthistorische Sachen u. der Annalen der Geschichte würdig! Semmel hat keine Lust zu schreiben, läßt Dich aber herzlich grüßen; Matthies u. Burckhardt laßen Dir weiter nichts sagen, als dß Du ein ungeheurer Ochse, sage Ochse, wärest; warum? weiß ich nicht. Melcher hat auch Suite mit Sachsen; es fließt jetzt unbändiges Blut in den Paukerein u. es <wird> fällt fast jeden Tag eine vor; Fischer hat sich noch nicht gemeldet, gleich Deinem Forstjäger aus Aschaffenburg. Semmel bekümmert sich übrigens wenig um die Burschenschaft u. lacht sarkastisch über die schweblichen, neblichen Begriffe von Volksthum, Deutschthum etc., u. die inflammirten Burschen <A> ärgern sich darob gewaltig. Ach! welche Ideale macht ich mir von einem Burschen u. wie armselig fand ich sie meist. Jetzt gehe ich sachte zum ernsthaften Kapitel meines Briefes über u den ganzen Aufenthalt in Augsburg u. Deinen in Zwickau u. Gera trägt mir der Genius der Freundschaft vor die sehnsüchtigen Augen vorüber. Ach! dß doch jede glückliche Minute sich selbst mordet!
Auf meiner Rückreise über Bayreuth besuchte ich, durch die Güte der alten Rollwenzel, Jean Paul’s Wittwe u. bekam von ihr sein Bild. Wenn die ganze Welt Jean Paul läse, so würde sie bestimmt besser, aber unglücklicher – er hat mich oft dem Wahnsinne nahe gebracht; aber der Regenbogen des Friedens u. der menschliche Geist schwebt immer sanft über alle Thränen; u. das Herz wird wunderbar erhoben u. mild verklärt.
Mit Deinem Brief gehen zwey nach Augsburg an den Dr. u. Clara ab u. Du kannst nicht verlangen, dß ich nach solchen lyrischen, erschöpfenden Ergießungen mich noch ferner ergießen soll. Clara’s Bild ist noch nicht ganz aus meinem Herzen verdrängt u. in der regen, großen Stadt vernarben solche Wunden bald. Darum lebe wohl, mein geliebter Freund; Caroline u. Emilie Süßmann denken noch mit Entzücken an Dich u. haben mir Deine sentimentalen Stammbuchsverse gezeigt. Lebe denn recht glüklich; jeder Genius des Menschen sey mit Dir u. der der Freudenthränen begleite Dich ewig. Behalte aber auch den Freund lieb, der nur wenige Minuten mit Dir zusammenlebte, aber das recht innig u. froh u. Dich von Herzen lieb gewann, weil er in Dir einen menschlichen, weichen <,> u. doch kräftigen Jüngling <erblickte> fand. Vergiß der schönen Stunden nie, die wir zusammen lebten u. bleibe so menschlich, so gut, wie Du es jetzt bist. Antworte bald.
Dein
Robert Schumann
|4| Herrn
Herrn Guisbert Rosen, Stud. jur.
(wohnhaft am Neckar bey der Wittwe Panzer)
Wohlgeboren
in
Heidelberg.


  Absender: Schumann, Robert (1455)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Rosen, Gisbert (1299)
  Empfangsort: Heidelberg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 26
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka, Thomas Synofzik, Eva Katharina Klein und Michael Beiche / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-051-3
785-790

  Standort/Quelle:*) D-BNu; s: Schumann 30
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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