Leipzig d. 10. August 51.
Verehrter Mann!
Was müssen Sie von mir denken, daß ich Ihre freundlichen Zeilen 3 Wochen unbeantwortet ließ, zumal da Sie baldige Antwort verlangten! – die Zeit drängt, ich muß mich entscheiden – sonst würde ich Ihnen vielleicht heute noch nicht schreiben. Ich habe bis auf diese Stunde auf die Möglichkeit gehofft, Sie vor dem 15. sehen zu können, aber jetzt muß ich leider Ihnen melden, daß es unmöglich ist. Meine ganze Zukunft ist so unklar und heillos verworren, daß ich im jetzigen Augenblick nicht auf 4 Wochen hinaus einen Plan zu machen wage – doch, soviel ich voraussehen kann, komme ich in den ersten Tagen des September zu Ihnen, im Fall Sie um diese Zeit schon wieder in Düsseldorf sind. Wenn nicht, – so kann ich Ihnen auf eine fernere Zeit hinaus Nichts mehr bestimmen – dann habe ich mich vielleicht, sammt meiner Freiheit, schon verkauft, u. kann nicht mehr über mich verfügen. Ehe ich mich in das Joch des Alltagslebens spannen lasse – mögte ich Sie gern einmal sehen und mir bei Ihnen Muth holen – denn mir ist immer, als wenn Sie meinem Leben eine glücklichere Wendung geben könnten. Wie das freilich geschehen sollte, und wie ich überhaupt zu der Idee komme, weiß ich selbst nicht.
Die schweren inneren Kämpfe und Leiden, die ich in letzter Zeit mit mir allein durchkämpfen mußte, haben mich unfähig gemacht, für Sie zu arbeiten, ja nur für Sie zu denken. Die Kunst, in ihrer Himmelsklarheit und plastischen Ruhe wendet sich mitleidig ab von dem unklaren Ringen des Zweifelnden und von dem Bettler, der nach Brod sucht. – Ich wollte Ihnen so gern des Sängers Fluch in der Stille umarbeiten, und Sie mit einer Bearbeitung erfreuen, die Ihren Wünschen mehr entspräche, als die erste. Aber es war mir factisch unmöglich. Seit Wochen ist kein Lichtstrahl in meine Seele gedrungen. Vielleicht, daß ich mich in Baden erhole. Vom 18. August an finden Sie mich in Baden – von dort aus ist es, wo ich auf der Rückreise nach Leipzig, um den 1. September in Düsseldorf aufsuchen werde.
Ich komme zu Ihnen mit leeren Händen u. leerem Herzen – also erwarten Sie nichts von mir. Der Luther steht noch da, wo er vor 2 Monaten gestanden hat – ich hoffe, daß Sie mir verzeihen , und mich darum nicht aufgeben werden. Ich muß mir ja bei Ihnen erst wieder Lebensmuth u. Geistesfrische holen, die in den Erlebnissen der letzten Monate zu Grunde gingen.
Erfreuen Sie mich recht bald durch einige Zeilen, die ich unter der Adresse:
Baden-Baden, bei Mad. Eyth, Schlossgasse 558
zu befördern bitte. Da ich nur den Weg über Düsseldorf nehme, um Sie zu sehen, so komme ich nur dann, wenn ich ganz sicher bin, Sie zu treffen. Bestimmen Sie also selbst den Tag meiner Ankunft – im Fall Sie ihn nicht zu tief in den September hinein bestimmen, können Sie auf mich rechnen.
Unwandelbar der Ihrige, mit treuer
Ergebenheit
Richard Pohl.