Hbg. 24 Oct 54.
Verehrte Frau,
was denken Sie von mir? Jetzt erst empfangen Sie den 2ten Brief von mir, in Weimar fanden Sie keinen, der auf Sie wartete, – ich glaubte, jeden Tag an Sie schreiben zu müssen u. jetzt kann ich kaum dazu kommen. Sie glauben gewiß, ich wäre so freudig erregt, so ganz aus meinem „Phlegma“ gerissen, daß ich keine Ruhe zum Schreiben habe?
|2| Nicht so, ich kann mich in mein früheres Leben nicht wieder finden; <wie kan> Ich kann nicht mehr zu Vieren in 2 kleinen Zimmern hausen; Früher lag ich als ein tüchtiger Orgelpunkt unter, od. schwebte Oben, u. ließ Alles um mich herum laufen, jetzt rücke ich immer mit, kann mich nicht absondern u. meinen eignen Weg gehen.
Ich habe mich an das einsame Sitzen so gewöhnt, daß ich die Eltern etc bitten muß, mich allein zu lassen, wenn ich an Sie schreiben will.
Meine Reichthümer habe ich erst Gestern bekommen (Montag).
|3| Unter lautem Jubelgeschrei zog ich ein Stück der Kaffemaschine nach dem andern hervor, Alles heil, bis auf einen Trichter.
Jetzt ist’s mir heimischer geworden, da ich so zwischen meinen lieben Büchern u. Noten sitze, jetzt denke ich auch nach, was Sie wohl mitbringen; es fehlen mir nur noch einige Hefte zu den sämmtl. Werken Fl. & E., welche werden es sein?
Ich habe es immer Unrecht gefunden, daß Sie mir soviel schenken, auch jetzt noch. Aber jedes Buch, jedes Heft, das ich von Ihnen habe, |4| ist mir doppelt lieb, es ist mir heilig u. Sie mußten sehen, wie zärtlich ich die Bücher anfasse!
Ich möchte, ich könnte Alles was ich mir kaufe od. schenken lasse, erst durch Ihre Hand gehen lassen.
Meinem Lehrer spiele ich Ihres Mannes Sachen viel vor, er sagte, so schön wie die symphonischen Etüden hätte ich noch Nichts gespielt!
Ich wäre ganz darin aufgegangen; Ach, jetzt möchte ich sie Ihnen vorspielen, Ihr Lob macht mich so glücklich.
Ich habe jetzt ziemlich alle alten Bekannten wieder gesehen, wie |5| war ich doch früher so wahrhaft bescheiden, jeder Laffe glaubte ich, sei klüger als ich, ich schauderte oft zusammen, wenn ich sie wiedersah, es kam mir vor, als klebten sie recht im Kothe fest, u. als sei ich doch eigentlich recht rüstig weit von ihnen gegangen.
Ach wie sehne ich mich fort, nach Düsseldorf, schreiben Sie mir doch vor Allem, ob Sie wirklich denken nach Weihnacht nach Holland zu reisen u. wie lange!
Ich komme wieder zu Ihnen u. bleibe so lange Sie allein sind, herrscht erst wieder die Zweieinigkeit, |6| dann bleibe ich erst recht.
Was haben Sie für Nachrichten von dem geliebten Mann?
Sie lassen sich doch nicht zu traurig machen, durch einen weniger freudigen Brief?
Sie dürfen nur freudig u. dankend hoffen!
Ich träume u. denke nur von der herrlichen Zeit, wo ich mit Ihnen Beiden leben kann, ich lebe diese ganze Zeit aus, wie ich einen Weg gehe zum schönsten Land.
|7| Aus Ihrem Brief habe ich ersehen, das [sic] Hoffmann gewirkt, sie [sic] haben zwei „Ich’s“. Schon aus Ostende schrieben Sie von solchen.
Ich dachte Ihnen die Fantasiestücke von Hffm. zu schicken, da ich ein zweites schöneres Exemplar hier im Hause fand.
Ich schenkte dasselbe Weihnacht 53 meinem Bruder, er ließ es im Sommer hier zurück, er versteht sie doch wohl noch nicht.
Wie fanden Sie Dietrich in Lpzg, <ich> verändert? Sie erzählen mir wohl in Hbg. von ihm.
|8| Haben Sie vielleicht ein Programm Ihres Concerts in Lpzg?
Mögen Sie es mir schicken? es ist mir sehr theuer.
Von Weimar aus bekomme ich vielleicht einen Brief von Ihnen? ich sorge recht für Sie daselbst.
Joachim ist wohl hingekommen? der Glückliche! Grüßen Sie ihn denn, den treuesten Freund.
Es ist Ihnen wohl lieb, Frl. Schönerstedt mitgenommen zu haben? Ich bitte, auch <S>sie zu grüßen.
Leben Sie recht wohl, ich will bald wieder schreiben, wenn es Sie im Geringsten erfreuen kann.
Mit aller Liebe u. Verehrung
Ihr
Johannes Brah.
(Sie empfehlen mich wohl Hrn Liszt? Bitte!)