23.01.2024

Briefe



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ID: 22426
Geschrieben am: Sonntag 27.08.1854
 

Verehrteste Frau,
Nicht umhin kann ich, Ihnen einige Stellen aus Ihrem letzten lieben Brief zu wiederholen:
„ich kann es mir wohl denken, daß Leute, die mich nicht kennen, mich für exaltirt halten können. – –“
„mir ist aber so ein Gedanke gekommen, ob Sie (ich nämlich) mich am Ende auch dafür halten?“
Das ist doch wohl nicht so sehr ernst gemeint, nicht wahr, liebe Frau Direktorin?
|2| Daß Sie jetzt ein Concert in Ostende geben, hat mich nicht im Geringsten überrascht, ich erwartete es bestimmt, aber ich habe mit Sorge daran gedacht, es muß ein schwerer Tag für Sie gewesen sein. Ich hätte Ihnen für den Tag meinen Respect (das heißt: meine leichtfertige Meinung vom) Publikum leihen mögen. Ich glaube, Sie gehen wie eine Priesterin zum Altar in den Concertsaal?
So soll es freilich auch sein, ich kenne das Gefühl an mir nicht, da ich das Publikum nur aus der Ferne kenne, seine Nähe scheue ich. Ich bin sehr begierig zu erfahren, was sie [sic] gespielt? Sie haben <s>Sich doch nicht mit gewißen Cis moll-Etuden zu sehr angegriffen? Ich habe dann keine Schuld, lang genug habe ich Ihnen vergeblich Hellers Spaziergänge u. sonstige Bummeleien empfohlen!
|3| Von Härtels habe ich e. Brief bekommen, da sie von Ihrer Reise nach Ost. gehört hatten, so schrieben sie mir; sie nehmen meine Var. an, bemerken aber dabei, daß ich das Honorar doch nicht zu hoch stellen möge, da der Erfolg meiner Sachen noch nicht bestimmt etc.
Kaufleute kennen doch keine Zartheit in Geldsachen, da scheut man sich, wenn man mehr als 3 Worte über Geld und Honorar schreiben muß, u. Leute wie Härtels können so unnobel schreiben, 10 Ldrs. muß ich doch haben!
Hr. Wehner, denken Sie, hat mir noch immer nicht geschrieben, auch die Var. nicht geschickt. Ich muß mich wohl entschließen, ihm zu schreiben.
Von Joachim habe ich auch noch keinen Brief, ich werde einmal meine Schreibefaulheit überwinden u. förmlich extravagant im Briefschreiben werden.
|4| Meine Bücher-Bibliothek habe ich vervollständigt. Ich habe mir Äschylos’ 7 Tragödien u. einen Band Plutarch’ Biographien gekauft!
Ich weiß bald nicht mehr, was noch zu kaufen ist. Ich habe Shakespeare’s u. Schumann’s sämmtl. Werke, Göthe’s Gedichte und Hoffmann’s Fantasiestücke u. noch mehr!
Wenn ich die nächsten 10 Ldrs, wird’s wieder harte Kämpfe kosten, vom Buchladen fern zu bleiben.
Sie, als Poetin werden wohl nicht sehr über ein Mirakel erstaunen, das hier zu sehen ist. Unser Freund Grimm, der, wie Sie wissen, seit Langem <Bet> Bedeutendes schwärmt, bekommt jetzt ganz schöne dunkelblaue Augen! Es soll möglich sein, daß wenn man sich zu viel mit solchen Sachen beschäftigt u. gar zu viel daran denkt, selbst welche bekommt.
Physischer Einfluß, magnetischer Rapport etc.!
|5| Grimm <> componirt jetzt auch Lieder, heiße, hitzige! Alle E dur 4/4 freudig erregt, nach Walther v. d. Vogelweide u. A.
Ich sehe auch immer tiefer in ein Paar wunderbar schöner Augen, jetzt schauen sie mich an aus den Davidsbündlertänzen u. d. Kreisleriana.
Den ganzen Tag fast sitze ich Bilkerstrasse 1032 im 2ten Stock, bin auch über Ihren Schrank hergefallen, ich muß Alles durchsuchen!
Recht sehr erfreut habe ich mich an Ihres Herrn Bruders op. 1 u. 4 die mir bis jetzt weniger bekannt waren. Nr. 1 u. 2 im ersten, Nr. 2 u. 5 im 4ten Werk sind mir ganz besonders lieb. Welch schöne Erstlingswerke, und welch rascher Fortschritt bis zu dem letzten Ihnen gewidmeten Werk!
Von Norbert Burgmüller fand ich eine wunderliche Rhapsodie (op. 13) die tief rührt, auch |6| unter seinen Liedern prächtige.
Sie werden sich freuen, die Sachen kennen zu lernen, wenn sie Ihnen unbekannt sind.
Bei Frl. Hartmann war ich 2 mal. Das 2te Mal sang sie mir Lieder von Schäffer u. von mir vor. Die von Sch. scheinen mir zu <E> groß u. tief gedacht für sie, ich habe immer mehr dabei empfunden, die meinigen sang sie sehr schön, innig u. warm, ich war ganz verwundert.
Becker ist <> diesen Morgen abgereist nach Leipzig, Freiberg etc. Er bittet mich, Ihnen seinen innigsten Gruß zu sagen.
Ueber Liszt’s Sonate ist ein schwärmerischer Aufsatz in der n. Z. f. M. erschienen, wie ich glaube, durch magnetische Experimente hervorgerufen.
Fantasien über den Nordstern erscheinen |7| bereits dutzendweis, wenn’s Sie interessirt. Ich will schließen, sonst schreibe ich Ihnen am Ende noch die neuesten Düsseldorfer Journale ab, nur um Ihnen noch länger schreiben zu können.
Im nächsten Brief erfreuen Sie uns wohl durch die Nachricht, wann Sie ungefähr wieder zu kommen denken?
Dauert’s noch lang?
Ich sehne mich unendlich, Sie wieder zu sehen, theuerste Frau, lassen Sie uns nicht länger als nöthig warten.
Recht viele Grüße an Frl. Leser u. Jungé
Mit aller nur möglichen Verehrung
Ihr
Johannes Brahms.
Ddf. d. 27 Aug. 54.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Ostende
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
197-201

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,7
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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