Verehrte Frau,
Zwei theure Briefe habe ich von Ihnen erhalten, tausend Dank dafür; Sie können durch Ihre Briefe mich kurze Zeit vergessen machen, daß Sie fern sind.
Mir gehen die Worte so schwer aus der Feder, daß wohl sogar meine mündliche Unterhaltung interressanter sein mag. Ich schriebe Ihnen gerne blos mit Noten, doch habe ich Ihnen Heute zu schreiben, was Noten nicht sagen können.
Ich scheue mich fast, Ihnen zu schreiben, daß auch ich Ihren geliebten Mann gesehen habe; es kömmt mir – hart – vor, daß wir, die wir ihm so unendlich |2| ferner stehen, ihn eher sehn als Sie, ich gönne es mir nicht, wenn ich an Sie denke.
Den 19ten war ich in Bonn, mit Reimers ging ich nach Endenich, wir sprachen den Arzt, u. ich war überglücklich, als dieser mir Hoffnung machte, Herrn Sch. sehen zu können.
Es war ungefähr 4 Uhr Nachm. Hr. Sch. trank Caffe u. kam dann in den Garten, (es war heitres Wetter.)
Ihr theurer Mann hat sich nicht im Gering<stesten>sten verändert, nur etwas stärker ist er geworden. Sein Blick ist freundlich u. hell, seine Bewegungen sind ganz dieselben wie früher, die eine Hand hielt er beständig an den Mund, er rauchte in kleinen Zügen wie sonst, Sein Gang u. sein Gruß waren freier u. fester, was ja natürlich ist, da ihn keine großen Gedanken, kein Faust beschäftigen.
|3| Der Arzt redete ihn an, ich konnte ihn leider nicht sprechen hören, doch war sein Lächeln u. dem Ansehn nach sein Sprechen ganz wie früher.
Hr. Sch. besah dann die Blumen u. ging tiefer in den Garten, der schönen Fernsicht entgegen, ich sah ihn verschwinden, während ihn die Abendsonne herrlich umleuchtete.
Meine Gefühle in dieser Stunde kann ich Ihnen nicht beschreiben, ich zitterte heftig u. konnte mich nur mit größter Kraft halten, nicht hinauszurufen, zu ihm zu eilen. Ich konnte Ihnen nicht wünschen, meine Stelle zu vertreten, Sie hätten es nicht ausgehalten, ich konnte es kaum.
Noch Einiges, was mir der Arzt u. Frl. Reumont erzählte, will ich Ihnen mittheilen. Ihr Mann hat dem Frl. R. in dem Scherer’schen |4| Liederbuch alle Lieder gezeigt, die er früher componirt hat. Unter Andern sagte er, das Lied: „Du bist wie eine Blume“ sei sein erstes gewesen! dem ist ja so. In dem Zimmer des Frl. R. kannte er auch den schönen Kopf von Raphael wieder, der in Ihrem Zimmer hängt, u. erzählte, daß er ihn besitze in Ddf. Auch <konnte> zeigte Hr. Sch. in einer Sammlung Portraits berühmter Männer alle ihm bekannten: Schiller, Göthe, Copernicus etc. Dann zeigte er die Dichter, die ihm persönlich bekannt sind, auf Göthe zeigend, sprach er lächelnd: „Den leider <nicht> kannte ich nicht;“
Das ist wohl der ächte Schumann?
|5| Recht geradezu möchte ich Ihnen jetzt eine Bitte sagen, verehrte Frau, von der ich wünschte, Sie möchten dieselbe nicht mißverstehen: Sein Sie recht vorsichtig mit Ihren Briefen an die Ärzte in Endenich!
Die Herrn glaubten, besonders in Ihrem letzten Brief gesehn zu haben, daß Sie zu zuversichtlich auf baldige Genesung hofften, <S>sie meinten, Hr. Grimm müße Ihnen zu freudig erregt geschrieben haben.
Ich möchte Ihnen rathen, trotzdem es so sehr unbescheiden ist: in Ihren Briefen dahin nicht so viel Hoffnung zu zeigen, als Sie hoffentlich haben!
Hoffen Sie aber wie ich fester u. fester, wenn auch langsame, doch gänzliche Genesung des Theuren.
|6| Die Hrn. Aerzte kennen Sie Beide nicht; glaubte ich doch auch, ehe ich Sie kannte, solche Menschen u. solche Ehe könne nur in der Phantasie der schönsten Männer existiren.
Der Arzt weiß nicht, was sie [sic] leiden, er kann Sie nur nach Ihren Briefen beurtheilen, u. sind diese exaltirt, so hält er Sie dafür.
Mir schwirrte es im Kopf von Allem was ich dem Arzt sagen, <> erzählen u. fragen wollte, als ich ihm ins kalte Gesicht sah, kam kein Wort über die Zunge.
Ich hätte dies Ihnen lieber mündlich gesagt, um es vorsichtiger <zu> thun zu können u. mit Gründen mehr zu belegen, |7| doch hoffe ich, Sie werden sich selbst die Nothwendigkeit beweisen u. bedenken, daß die Aerzte sich mit ihren Briefen etwas nach den Ihrigen richten, etwas.
Finden sie dieselben zu hoffnungsvoll, so meinen sie, kälter schreiben zu müssen.
Ich darf Ihnen auch nicht verschweigen, daß Ihr Mann in den letzten Tagen Gehörstäuschungen hatte.
Die Wiederkehr derselben von Zeit zu Zeit wird Sie doch nicht zu sehr beunruhigen können?
Von Joachim ha<tt>be ich noch keinen Brief, auch von Wehner die Variationen nicht, jedoch von Dietrich einen Brief, er schreibt mir, er habe bald ein größeres Werk vollendet!
Er lebt sehr einsam! Im Sommer in L., das glaube ich, aber im Winter!
|8| Grimm war Gestern mit s. Freunde Budkowski in Köln, weshalb Sie seinen Brief von dort bekommen.
Ich war in Ihrem Hause u. rührte Frl. Bertha tief durch meine Erzählungen aus Bonn.
Sie haben einen Schatz gefunden in dem Mädchen, solche sind selten.
Wasielewsky ist nach Thüringen in ein Bad gereist u. nach Weimar, Liszt zu besuchen; Er hat es Ihnen nicht geschrieben?
Ich bin doch ein recht schlechter Musiker! Denken Sie, diesen Winter habe ich in einem Ddfer Concert nur eine Sinfonie von Ihrem Gatten hören wollen, vor einer Beethovenschen Ouverture u. Andern lief ich fort, was soll ich daran hören? habe ich gesagt; auch habe ich in Köln gesagt, am Mozart wäre nicht viel, so könnte ich jeden |9| Tag Clavier-Sonaten schreiben!
Wenigstens erzählte F. H. Solches von mir in Mehlem.
Der Herr hat auch einen eignen Begriff von einer Künstlerlaufbahn, er meint, man müße 5 Jahre abwarten, um zu erleben, daß nicht mehr die Rede von mir sein würde!
Solche Unsterblichkeit lobe ich mir!
Verbieten Sie mir das Schreiben, ich schwatze gar zu lang u. langweilig!
Frl. Hartmann wollte ich besuchen, doch wohnt sie bei ihrem Hrn. Schwager, u. es gehört bei mir erst eine Ueberwindung dazu, zu fremden Leuten zu gehen, doch will ich’s.
|10| In 14 Tagen dürfen wir wohl hoffen Sie wieder zu sehen?
Wir freuen uns so unendlich darauf.
An Frl. Leser u. Jungé meine freundlichsten Grüße.
Wenn Sie Frl. Reichmann schreiben, möchte ich Sie darum bitten, auch sie recht herzlich zu grüßen.
Leben Sie wohl u. kehren Sie recht erstarkt zurück.
Mit tausend Grüßen
Ihr
treu ergebner
Johannes Brahms.
Düsseldorf. D. 21ten Aug. 54.
(Entschuldigen Sie die schändliche Schrift, doch kann ich meine Hand gar nicht regieren beim Buchstaben schreiben. Noten male ich besser.[)]
|11| Werden Sie nicht böse, aber ich muß noch einen Bogen hinzulegen!
So oft ich Ihre Briefe auch gelesen habe, vergaß ich doch, Einiges darin zu beantworten.
Ob ich das Meer nie gesehen? Nein; Aber Kämpfe habe ich mit mir bestanden, nicht Ihnen nach zu reisen.
Die Reise nach Ostende, das Leben in einem Badeorte ist zu theuer, als daß ichs wagen dürfte, bei Ihrer Abreise konnte ich die Scheu davor nicht überwinden, hätte ich’s nur gethan, jetzt geht’s nicht mehr.
Daß, wie Sie schreiben, die Menschen dort den herrlichen Anblick nicht verdienen, – das glaube ich! Sie verdienen auch nicht, daß Sie beide, Robert u. Clara überhaupt da sind, u. es überläuft mich, wenn ich denke, |12| daß ich vielleicht erlebe, wie man noch für Sie – zwei so ganz poetische Naturen – schwärmt!
Ich möchte wünschen, das Volk vergäße Sie, damit Sie den Bessern desto heiliger blieben.
Sie haben gelacht über Mademoiselle Maibel? Haben Sie auch geweint vor Rührung über Serapion? (zu Anfang des ersten Bandes, Einleitung.)
Ich mochte es Ihnen nicht vorlesen; auch im Krespel rührt Sie’s wohl bisweilen wunderbar, wie mich.
Den Kreisler senior müßen Sie auch noch recht kennen lernen! (Im Kater Murr etc.)
An den bedeutungsvollen Tagen:
Clara, Aurora, Eusebius
|13| hatte ich das herrlichste, sonnigste Wetter. Ob ich an Sie Beide dachte, brauche ich Ihnen das zu sagen? –
Sie fragen danach! Wohl nur, um die Tage zu nennen?
Ich will rasch den Brief zusammenpacken, damit Sie in Ostende auch noch etwas Andres thun können, als meine Briefe lesen.
Bleiben Sie mir doch recht gut!
Ihr
Johannes B.
Ich muß noch die Bögen numeriren, damit Sie nur zurecht finden, wie <werd> mache ich Ihnen Angst vor meinen Briefen!