Liebe Frau Schumann.
Eine Ewigkeit kommt es mir vor, seitdem ich Ihnen zuletzt geschrieben! Nach Empfang Ihres Londoner Briefchens kommt es mir geradezu wie eine große Schuld vor -- und es wird Zeit, daß ich sie nicht von Stund zu Stund vergrößere. An Johannes habe ich aber damals wenigstens gleich geschrieben. An den lieben, thätigen, frischen, genialen Freund! Welche Freude hat er mir mit dem nun vollendeten Concert gemacht. Es ist wirklich überreich geworden; zu den grandiosen Zügen haben sich nun im letzten Satz so viel reizende, kleinere Formen gesellt, daß einem der Inhalt fast über den Kopf wächst, will man davon sprechen. Eigentlich wußte ich ihm selbst aııch nichts darüber zu schreiben als daß ich die wenigen Stellen, die in der Instrumentation der Änderung oder einer Kompletirung bedürfen, mit Lieb und Sorgfalt vollenden will, und daß Sie es dann im Herbst in einer Probe mit Orchester uns hier vorspielen müssen, damit Joh. ein vollständig Bild des Ganzen in sich aufnehmen kann. Wenn ich daran denke, namentlich das Andante fertig vorgeführt zu hören, weht es mich jetzt schon ordentlich belebend so viel Monate vorher an - ich bin zu gespannt auf das Ganze. Für einen Künstler von Joh. Schlag ist das einzige Mittel zu Fortschritten zu gelangen das mühelose Anhören des Geschaffenen. Wie schön, daß wir beide ihm dazu zu helfen im Stande sein werden. Nun, ich freue mich aufs Herbst-Ende. Was bis dahin geschehen wird? Ich denke, bis nach des Königs Geburtstag, zu dem der fliegende Holländer (von mir noch ungehört) studirt wird, hier zu bleiben. Dann gehe ich nach Göttingen von meinen zwei Schülern, Herner und Bach aus Köln, treulich begleitet. Eine Reise nach Rom, zu der ich von Herman Grimm eingeladen war, habe ich trotz des Lockenden, das sie in seiner Begleitung bot, aufgegeben. Ich habe für gar nichts Sinn als in den letzten Wochen für meine Violine, die glücklich von einer Reparatur bei Bausch in Leipzig, wo sie 3 Wochen war, heimgekehrt ist und im Klang noch entschieden an Weichheit und Größe des Tons gewonnen hat. Es würde Ihnen jetzt der Klang-Charakter zusagen. Das eifert mich zum Studium der Paganini ´schen Etuden an, in denen mir immer mehr eine große Fülle von Poesie und Originalität der Composition aufgeht. Gäbe es doch ähnliches mit Orchester – aber es ist merkwürdig, wie die Concertcompositionen Pag. an Werth hinter den Etuden zurückstehen. Was mögen Sie in London schon musicirt und gehört haben! An Klingemann und an alle, die Sie in London werth halten, viel Gutes von mir.
Immer der lhrige
Joseph J.
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