23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 9701
Geschrieben am: Donnerstag 09.05.1867
 

Karlsbad d. 9ten Mai 1867.
Meine theuere Mila,
seit Wochen schon will ich Dir jeden Tag schreiben, und immer kam Anderes dazwischen – ich will Dir nicht Alles auseinander setzen, Du weißt ja aus Erfahrung, wie es bei mir immer zugeht. Nun endlich hier komme ich etwas zur Ruhe, und benutze die erste Musestunde [sic] für Dich, um Dir endlich zu sagen, wieviel ich wieder all die Zeit in Gedanken bei Dir war. Welch schreckliche Zeit hast Du Aermste wieder durchgemacht! unerwartet jedoch kam mir die Wiederholung von Elisens Gemüthsstimmung nicht, und fürchte ich, daß erst mit |2| dem Eintritt einer gewissen Zeit das Leiden gänzlich schwinden wird. Ich habe so oft von ähnlichen Fällen gehört. Ich war so froh zu hören daß Du Elise wieder nach Werneck gebracht, und daß sie bereits wieder beinah hergestellt ist. Aber welche Sorgen habt Ihr auch sonst noch gehabt! die arme Lina, wie dauert sie mich! daß sie aber nicht zu einem Arzt geht ohne ihren Mann zu fragen, wo doch ihre Gesundheit auf dem Spiele steht, begreife ich nicht. Hat Hövemeier sich denn sonst so sehr um das Gedeihen seiner Familie gekümmert? hat Lina nicht mehr die Pflicht sich ihren Kindern zu erhalten, als einem Manne zu folgen, der aus Caprice lieber sein Weib opfert, als einen <gerade[?]> guten Rath befolgt? Wie schrecklich ist nun wieder die Geschichte mit der Anstellung! Du kannst mir aber glauben, je mehr |3| Ihr thut, je hartnäckiger und sorgloser wird der Mann. Elise sollte einmal ganz consequent bleiben und nur das geben, was sie Lina jährlich ausgesetzt, und eben keinen Gulden mehr. Freilich wäre es besser schon früher geschehen. Das ist doch eine Geschichte zum Verzweifeln diese Sorge, die Euch der Mann nun schon seit Jahren auferlegt! –
Aber, liebste Mila, für Dein Kopfweh müßtest Du entschieden ’mal gebrauchen, Du darfst das nicht so einreißen lassen! es giebt ja höchst wirksame Bäder dafür, auch wäre gewiß ’mal eine Rigi-Cur, d. h. drei Wochen auf Kaltbad leben, vortrefflich für Euch Beide! ich glaube in angenehmer Gesellschaft entschlösse ich mich auch ’mal wieder dazu. Jetzt freilich denke ich nur mit Sehnsucht nach Baden, wohin ich leider so bald noch nicht zurückkehre. Ich gebrauche hier die Cur, und muß also aushalten, dann will |4| ich als Nachcur noch einige Besuche in Dresden, Leipzig ect. abstatten, während Marie zu Hause Alles einrichtet; so komme ich denn also wohl kaum viel vor Ende Juni zurück. Hier haben wir aber Alles sehr gut getroffen, es ist herrliches Wetter, wir haben eine reizende Wohnung, auch habe ich ein ganz erträgliches Instrument von Bösendorfer gefunden, und, vor allem das Beste, die Beruhigung vom Doctor erhalten, daß mein Leiden kein Leberleiden, sondern nur eine Störung der Leber-Funktionen sey in Folge einer Gallen-Zubereitungs-Störung, und Folge alles Dessen die Blutcirculation des <L> Unterleibes in Unordnung gerathen sey. Der Arzt versichert mir, daß eine nur mäßige Cur vom besten Erfolge für mich sein werde. – Das Schwerste der Cur ist mir das Bummeln – ich darf Nichts anhaltend thuen, soll sogar nur kurze Briefe schreiben – Dieser also ist schon eine Uebertretung! –
|5| Von Julie hast Du wohl immer von mir gehört und also auch, daß es mir in England außerordentlich gut ergangen ist – ich wurde stets bei jeder Auftretung mit wahrhafter Herzlichkeit vom Publikum aufgenommen. Freilich, große Anstrengungen habe ich durchgemacht, und verhältnismäßig zu Diesen nicht genug verdient, doch in England kann man, ist man einmal anerkannt und beliebt, immer ┌<dieselbe>┐ wieder kommen und findet immer ┌dieselbe Aufnahme┐ dasselbe Verdienst. So habe ich denn ein eben solches Engagement wieder für nächsten Winter angenommen.
Bitte, liebe theuere Emilie, schreibe mir recht bald hierher, wie es mit Elisen und Euch Allen geht? ob Elise wirklich nach Baden geht? was Ihr sonst im Sommer vornehmt? Die Geschichte mit der Schnorr und Bülow ist ja schrecklich! wohl hast Du recht zu sagen, man |6| man muß sich nicht mit Frau v. Bülow einlassen, mir scheint aber eine Hauptlehre aus der Sache die, daß man sich nicht unaufgefordert in anderer Leute Privat-Verhältnisse mischt. Ich finde das Verfahren der Frau Schnorr nicht allein höchst unklug, sondern undelicat in einer Weise, daß ich gar kein Wort dafür habe. Das mildeste ist noch daß man die ganze Handlung einer Geistes-Ueberspanntheit zuschreibt.
Nochmal die Bitte, sage mir bald ein Wort, wie es bei Euch steht, und grüße die liebe arme Elise sowie auch Hedi aufs herzlichste, und auch Fritz und Lina. Seit Deinem Briefe muß ich immer an sie denken. Wie geht’s ihr mit der Brust? Zwingt sie doch ja zu einem ersten Schritt deshalb, es könnte schreckliche Folgen nach sich ziehen, wenn sie es vernachlässigt. –
Meine Adresse ist: Carlsbad in Böhmen, Hirschensprunggasse im Königstein, 1ter Stock.
In alter Liebe umarmt Dich Deine
Clara.
Marie empfiehlt sich Euch sehr, von all den Anderen weißt Du wohl Alles, darum schreib ich nichts darüber. Werden wir uns den Sommer sehen?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Karlsbad
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
465-468

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh, s: 72.128
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.