Moskau d. 3 Mai/21 April 1864.
Lieber, theuerer Joachim,
einen Gruß auf dem Weg nach England muß ich Ihnen doch noch jetzt senden, damit er Sie in Hannover trifft – 1000 gute Wünsche auf Ihre Reise, und mögen Sie nicht gar zu lange in England bleiben. - Ihr lieber Brief war mir gestern eine wahre Osterfeiertags-Freude! wie hatte ich mich darnach gesehnt, und, soll ich’s bekennen, mich wahrhaft betrübt, daß Sie so gar nicht an mich Einsame dachten. Nun ist aber Alles gut nach Ihrem lieben guten Brief! nur daß ich Sie den ganzen Sommer nicht sehen soll, ist mir sehr hart, nicht in Baden, worauf ich mich so sehr gefreut hatte! – Wie innig Ihre schöne Hoffnung mich erfreut, können Sie denken, müßte nur die arme Ursi jetzt nicht so lange ganz allein in dem trocknen Hannover bleiben! Aber mein freudiges Staunen, ein neues Concert von Ihnen! das ist ja prächtig! ach, könnte ich gleich auf und davon, und es noch diese Woche bei Ihnen hören. Wie ist mir diese Entbehrung wieder schwer! wer weiß, wenn ich es nun höre? – Von meinem äußeren Leben kann ich Ihnen nur Gutes berichten, <aber> auch habe ich mich hier in Moskau wieder erholt, aber meine Sehnsucht nach Deutschland ist schrecklich, Momente habe ich, wo ich nur so gleich auf die Eisenbahn laufen möchte. Ich mußte jetzt, nachdem ich drei Soireen gegeben, 14 Tage lang das Osterfest abwarten, da ich noch ein Abschiedsconcert geben sollte, (was nun auch endlich morgen statt findet) diese ganzen 14 Tage aber kein Concert statt finden darf. Am 6ten spiele ich noch Roberts Concert in der russ. musikal Gesellschaft, dann will ich nach Petersburg, wo ich noch ein paar Tage zu thuen habe, am 12ten geht’s mit Gott wieder nach Deutschland. – Ich war hier wie in Petersburg außerordentlich aufgenommen, und vor einigen Tagen hatte ich die Ueberraschung, daß das Orchester mir eine Deputation sandte um mir seine Mitwirkung für mein Concert gratis anzubieten. Das hat mich wahrhaft gerührt. Ich schrieb Ihnen aber neulich über die Zustände musikal hier in Rußland besser, als ich sie jetzt bei nährer Bekanntschaft finde; man läßt sich so leicht durch den ersten Eindruck bestechen, nimmt von Seiten des Publicums für Verständniß, was vielleicht nur augenblickliche Stimmung, oder der Reiz der Neuheit war. Empfänglich ist man hier, aber doch noch sehr zurück. Sagen Sie der lieben Ursi herzlichsten Dank für ihren Brief – ich wollte ihr erst auch schreiben, komme aber nicht dazu – sie soll mir’s verzeihen! bald denke ich sie zu sehen, ich besuche sie einen Tag, vielleicht freut es sie in ihrer Einsamkeit! wahrscheinlich so dem 17–20ten Mai. Sie soll sich aber ja keine Mühe wegen des wohnens machen, ich steige im Royal ab, bleibe aber den Tag über bei ihr. Meine Adresse brauchen Sie jetzt nicht zu wissen – von England aus schreiben Sie mir doch nicht, aber ich gebe sie an Ursi, von ihr hoffe ich dann auch immer zu hören, wie’s dem lieben Jo geht. Addio, lieber Joachim. Gehe es Ihnen recht gut, und denken Sie zuweilen ’mal Ihrer altgetreuen Cl. Sch.
Was sagen Sie zu Dietrichs Genesung? ich hoffe noch wenig, seine Briefe sind merkwürdig krankhaft noch – traurig. Mit Ihrem Briefe <endlich> vorgestern kam nun auch Einer von Johannes – sein Brahms-Concert ist sehr glücklich abgelaufen.
Marie sendet die schönsten Grüße.