23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 9324
Geschrieben am: Freitag 19.12.1862
 

Berlin d. 19 Dec. 1862

Liebster Joachim,

endlich, endlich mal wieder ein Brief von Ihnen aus Deutschland! er wurde mir diesen Morgen von Breslau hierher geschickt, und ich setze mich gleich zur Antwort. Den Sonnabend, wo Sie zum ersten Male wieder dirigirten, wie getreu habe ich da den ganzen Abend Ihrer gedacht, mich mit ganzem Herzen in Ihre peinliche Lage hineingefühlt und bin jetzt ganz froh zu hören, daß mindestens des Königs Klugheit die Verhältnisse nach außen hin angenehmer gestaltet. Sey es Schein oder nicht, jedenfalls ist es so besser.
Daß Sie zu Weihnachten entschieden nicht zu mir kommen ist mir jetzt, da ich sehe, daß meine Voraussetzung, Sie würden unter keiner Bedingung jetzt Urlaub nehmen, eine falsche war, doppelt traurig. Sie können mir wohl nicht verdenken, daß ich als alte Freundin gern auch eine Ausnahme für Sie gewesen wäre. Übrigens aber sehe ich auch ein, daß Scholz ein großer Freundschaftsdienst dadurch geschah, und der Aufenthalt hier Ihnen innerlich kaum sehr wohl thun würde, da die lieben Freunde Ihnen doch recht fehlen würden. Wissen Sie wohl, daß wir uns beinah ein Jahr nicht gesehen! Ihnen mags nicht so lang erschienen sein in Ihrem <voll gefüllten[?]> bewegten Leben, ich aber, habe es recht tief empfunden und kann nicht ohne Schmerz es denken, wie die liebsten Freunde durch äußere Verhältnisse Einem so fern <> gerückt werden können. Noch betrübter aber ist es, geschieht das durch innere, wie bei Johannes. Seine Anwesenheit zu Weihnachten hier könnte ich wahrlich nicht wünschen, denn er hat uns vor’m Jahre hier, sowie im Sommer in Kreuznach (wohin zu kommen ich Ihn durchaus nicht veranlaßt hatte) das Leben mit Ihm fast unerträglich gemacht, und mich dazu diesen Sommer in ähnlicher Weise wie Sie, und zwar auch wegen des Quintetts auf’s Tiefste gekränkt. Ich erhielt dasselbe gerade,als ich eine <> Reise in's Berner Oberland unternahm; in der Voraussetzung, daß ich auf solcher Reise keine Minute Zeit, auch kein Clavier finden würde, um das Quintett spielen zu können, auch noch dazu ängstlich war, solch werthvolles Manuscript in der Reisetasche mit herumzuschleppen, ließ ich es in Luzern mit meinen Sachen; <> vier Tage darauf aber kam ich zurück,<> studierte es gleich auf eifrigste,und schrieb Ihm aufs wärmste darüber, hatte aber von unserer Tour aus Ihm mitgetheilt (natürlich aus Rücksicht, damit er nicht vergeblich warte), daß ich es empfangen etc: etc: Währenddem erhielt ich als Antwort auf diese Zeilen: er habe nicht geglaubt, daß ich jetzt mit so wenig Gepäck reise, daß ein paar lumpige Notenblätter mich belästigen würden, übrigens wisse ich, daß er seine Manuscripte nicht gern lange aus den Händen gebe etc: Das war mir aber wie ein Schlag auf’s Herz - war je ein Vorwurf ungerecht, so war es Dieser. Nun, Sie haben es auch empfunden, aber als Mann, der Solches eher verwindet, mir aber blutet das Herz, wenn ich nur daran denke -- das für Jahre lange innigste Hingabe für Alles, was er geschaffen! – Das Quintett ist aber schön --- ich habe es augenblicklich hier, will es Ihnen mitbringen, denn sehen werde ich Sie nun doch endlich mal wieder. Ich habe dem König neulich schon gesagt, daß ich Anfang Januar wiederkäme – das wird Ihnen <nun> freilich wegen des Hofspiel’s nicht angenehm sein? ich will mich nun jedenfalls so einrichten, daß ich am 3ten das Concert höre! können Sie mir keine Symphonie meines Mannes und Sonntag Morgen F moll von Beethoven XXXX spielen? Daß ich den Faust wohl nicht werde hören können, ist mir sehr hart, aber wahrscheinlich bin ich um diese Zeit wieder in Paris. Die Reise von dort nach Hannover würde ich, wenngleich schon anstrengend, doch unternehmen, aber die Kosten sind gar zu groß. Jetzt will ich Ihnen aber Lebewohl sagen, früge ich auch Manches noch so gern. Ich bin so erregt, Ihr Brief heute hat mich so wehmüthig bewegt, kaum weiß ich, warum, und doch weiß ich es! es ist eben der alte Herzensschlag, der für Sie immer derselbe bleiben wird! Könnte ich Ihnen doch gleich selbst die Hand zum Willkomm drücken!
Ihre
Cl. Sch.

An Scholzens herzliche Grüße. War die Aufführung des Requiem nach
Wunsch? Bitte um baldige Nachricht, ob Sie am 3ten Concert haben? ich soll nach Dresden und richte mich darnach ein.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
699ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6445-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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