23.01.2024

Briefe



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ID: 9308
Geschrieben am: Freitag 26.09.1862
 

Guebwiller d. 26 Septbr. 1862.

Liebster Joachim,

böse war ich nie auf Sie, aber, offen gestehe ich es, Ihre Briefe aus England ließen mich so sehr den alten Ton der Herzlichkeit vermissen, daß ich es vorzog mit dem schreiben zu warten, bis Sie wieder in Deutschland. Ich habe Sie zu lieb, als daß ein gleichgültiger Brief mich nicht sehr traurig stimmen sollte. Gott sey Dank, daß Sie nun ’mal endlich nach Deutschland wieder kommen! wie sehne ich mich Sie endlich wiederzusehen! aber wenn, wo? sollte Sie nicht etwa der Faust am 1 Nov. nach Elberfeld ziehen? ich werde Alles thuen mein Dortseyn zu ermöglichen, denn, wer weiß wie oft (oder wie selten) man dies wunderbare Werk zu hören bekömmt, und den Faust selbst, wohl nie mehr wie v. Stockhausen, so ganz vergeistigt! welch ein doppelter Genuß wäre es mir mit Ihnen das Werk zu hören. Könnten Sie das nicht einrichten? Auf dem Rigi war es leider dies Jahr schlimm, die Kälte meist unerträglich – wie oft gedachte ich dort des Vergangenen Jahr und Ihrer, lieber Freund! Ich blieb nur 3 Wochen, ging denn nach Luzern zur Einweihung einer neuen herrlichen Orgel, dann nach Schloß Bipp zu Bekannten von mir aus Basel. Dort war ich die ganze Zeit mit Kirchner wir musicierten fast den ganzen Tag, und Ihn näher kennen zu lernen, war mir recht eine Freude, denn ich habe Ihn sehr lieb gewonnen, er ist ein Mensch von tiefem Gemüthe, und gewiß würden Sie Ihn anders beurtheilen, kennten Sie Ihn wie ich. Es passiert Einem so selten, daß Einem Menschen bei längerem Verkehre immer lieber werden! – Hier sitze ich nun eigentlich in der unbehaglichsten Situation. Sie können sich den Abstand denken, so plötzlich aus einem höchst gemüthlichen Familienkreis in ein großes elegantes Haus, wo man bei aller Liebenswürdigkeit nie <> warm wird. Frau Schlumberger lud mich zur Weinlese ein, dabei sollte ich einigen Damen Unterricht, und einige Concerte mit Stockhausen, d. h. unter seiner Mitwirkung, im Elsaß, geben; dies anzunehmen hielt ich für meine Pflicht, nachdem ich so viel Geld verthan! eine Weile, d. h. bis zum 15ten Octbr. muß ich nun aushalten, dann denke ich in Basel, Carlsruhe u. a. O. zu spielen. Nicht ohne Angst gehe ich dem Winter wieder entgegen – Sie wissen, ich sorge mich immer, ob ich auch genug verdienen kann, und ob meine Kräffte ausreichen werden? Daß Johannes in Wien, wissen Sie wohl? es gefällt Ihm sehr gut. Er hat neuerdings wieder ein prächtiges Streichquintett componirt – das wird Ihnen ’mal gefallen. Und was haben Sie uns denn mitgebracht? ein neues herrliches Concert? oder Sonate? bitte, lassen Sie es mich wissen. Daß Sie der Verlust Ihrer Schwester sehr betrübt, kann ich mir denken, umsomehr als Sie sie erst kürzlich wieder gesehen! hat sie Familie? ich erinnere mich Ihrer gar nicht, habe sie vielleicht nie gesehen? ach, man verliert ja eben nach und nach Alle, die Einem lieb! Höre ich bald von Ihnen? ich hoffe es sehr. Bis zum 15 Octbr. ist meine Adresse: „Guebwiller im Elsaß bei Hrn. N. Schlumberger“, vom 15ten ab in „Basel, bei Hrn. Riggenbach- Stehlin.“ Die Kinder wollen sich Ihnen freundlichst empfohlen wissen. Und nun seyen Sie, lieber Freund, auf das herzlichste gegrüßt von Ihrer alten
treuen
Cl. Sch.

Noch ein P. S.
Sollten Sie zum Faust nach Elberfeld kommen können, so richten Sie es ja ein, daß Sie die Hauptprobe auch hören – das Werk ist es wohl werth, ich weiß, Sie bereuen es, wenn Sie es nicht zwei mal gehört. Stockhausen grüßt, ich noch einmal mit! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Guebwiller
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
686-689

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6440-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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