Leipzig d. 7 Dec. 1860
Liebster Joachim,
wie schade, daß ich Morgen nicht bei Ihnen sein kann! ach, wie so gern säße ich als begeisterte Zuhörerin unter Ihnen. Ueberhaupt, wie sehne ich mich nach einem ruhigen Stündchen mit Ihnen – ich habe das Herz so voll wegen unseres lieben Johannes. Fühlte ich es je, daß Ihr mir theuer seyd, so war es hier. Wie tief empfand ich die Freude mit Ihnen, wie das Leid mit Johannes – vielleicht mehr als Ihr Selbst. Die Trauer wegen der schlechten Aufnahme Johannes wurde etwas gemildert durch den Abend im Conservatorium, wo doch die Musiker fast Alle nach der Serenade mir gestanden, daß Dieselbe doch schön sey. Joh. <> reiste Sonnabend nach Ihnen ab – in den letzten Tagen doch etwas heiterer gestimmt. Mündlich bald mehr, denn ich bin hier wie immer gehetzt, sonst hätte ich Ihnen auch schon geschrieben. Mein Concert ist erst Montag, und dachte ich Mittwoch nach Hannover zu kommen, schreiben Sie mir aber, bitte, ein Wort, ob Sie Sonnabend Concert haben – geht es, daß ich hier noch so lange bleibe, so richte ich mich darauf ein, erst Sonnabend zu kommen, und Sonntag bei’m König zu spielen – wenn Sr Majestät es wünschen. Mit Belgien ist leider jetzt nichts, erst bis Mitte Jan. ich bin also bis Neujahr ganz ohne Engagement, und weiß noch gar nicht, wohin ich meine Schritte lenke. Ein Wort, bitte, lieber Joachim. Vielen Dank daß Sie mit dem Quartett (welch herrliches Programm) an mich dachten.
Recht von Herzen
Ihre
getreue
Cl. Sch.
Alle herzlichen Grüße soll ich sehr erwiedern.
Sie erhalten von Frau Wettig ein Paquet Musikalien auf meine Veranlassung, mündlich mehr. Gade’s 3te Symphonie war gestern schön – ein Viol Concert (Dreischock) v. Rietz unbeschreiblich langweilig! –
[Umschlag]
Herrn
Joseph Joachim.
Hannover.
Augustenstrasse Nro 1.
frei.
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