23.01.2024

Briefe



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ID: 913
Geschrieben am: Sonntag 15.05.1831
 

Leipzig, am 25sten April 31.
Meine geliebte Mutter!
Ich wollte, Du könntest mich in meinem Erker sehen und wie ich wie ein idyllischer König mitten darinnen sitze. Die Brüder1 sind nirgends aufzufinden; wie ich den alten Neumarkt wieder herunterschlich und der Mond lebhaft über die Häuser glänzte, fielst Du mir ein und mein Versprechen, Dir bald zu schreiben.
Noch träumend kam ich hier an.2 Das Wetter war schön und wie ich in meine Stube trat war Alles schön gekehrt und geputzt, die Fenster gewaschen, die Vorhänge neu; kurz ich befand mich sehr herrlich. Eduard3 traf ich geschäftig, verdrießlich und zerstreut, was die Messe4 mit sich bringt. ◊1Krebse sind in den Monaten mit einem R5 selten gut.◊1
Am 15ten Mai.
Drey Wochen liegen zwischen dem Anfang u. Ende dieses Briefes. Ich habe meinen Geist in dieser ganzen Zeit noch nicht so sammeln können, um Dir einen großen Brief schreiben zu können. Viel Rosenschein ist auch nicht drinnen. Sechs Tage hüte ich fast unaufhörlich die Stube; es liegt mir im Magen, im Herzen im Kopf ach überall. Sonst bin ich ungemein lebendig und bey Fantasie. Drey Tage hintereinander hab’ ich nach des Doctors Vorschrift schwitzen müssen, daß es eine Lust war. Auch zittert meine Hand beym Schreiben. Es liegt etwas Choleraartiges in mir. Bis zum ersten Juni hoff’ ich aber ganz auf den Beinen und bey Dir zu seyn, meine gute Mutter!6 Bist Du mir denn auch noch recht gut? Deine letzten Worte beym Abschied werden mir ewig unvergeßlich bleiben; wenn ich sie wiederhohle, so ist’s mir als nähme mich ein Genius in seine Arme. Ich kann’s jetzt kaum genug hören von den Menschen, daß sie mich lieb haben, so mißtrauisch bin ich geworden. –
An meinen Aufenthalt in Zwickau erinnere ich mich ungern, weil ich doch eigentlich gar zu dummer Laune war (Laune möcht’ ich’s nicht nennen). An dir und den Andern lag’s wahrlich nicht; glaub’ mir, daß ich das fühle und erkenne und daß mir nicht das geringste Liebeszeichen entgeht. Dank denn, meine gute Mutter, Deiner Sorglichkeit, Aufmerksamkeit, Deinem Reis und Rindfleisch, was denn doch nun einmal mein Leibessen bleibt und Allem und Allen. Julius7 schien mir diesmal herzlicher als je. –
Meine Finanzen beschäftigen u. bekümmern mich zum Theil. Wieck8 sagte neulich: für mich wäre nichts besser, als wenn ich keinen Heller hätte – dann würde schon Etwas aus mir werden. – Carl’n9 hab’ ich mein Geld versprochen; er will mir 5 pC◊2 geben, was ich nicht annehmen möchte, wenn’s ihm selber nichts nützte. Für einen Kaufmann sind 8000 Th wenig, die er in einem Jahr verspeculiren kann. Unser eins ist aber schon subtiler. Ich habe mir eine genaue Berechnung meiner Ausgaben u. Einnahmen (bis Michaelis) gemacht. Achtzig bis hundert Thaler fehlen mir aber doch außer den Zinsen, wenn ich bestehen soll. Das Capital will ich nie angreifen.10 Hast Du irgend Einfluß auf Carl u. Rosalie,11 so bitte sie, daß sie mir nie jährlich mehr schiken, als meine gesetzlichen Interessen.12 Sonst wird’s eine Sudelei ohne Ende, die endlich schlecht enden würde. Ich will schon sehen, wie ich das Deficit in meinen Ausgaben deken oder verdienen will. Mit nächstem Brief13 will ich Dir meine Berechnung schiken; ich muß mich sehr, sehr einschränken wenigstens in Städten wie Leipzig: gib mir denn aber Dein Gutachten.
|2| Eduard ist sehr heiter und fröhlich; die Messe ist vielmal besser geworden als er gedacht hat. ◊3Desto schlechter scheints mit Carl gegangen zu seyn. Ich wollte, daß ein rechter Genius wäre und noch so eine Unternehmung erstände, wie das Conversations Lexikon14 etc. Jetzt stehn wir noch Alle sehr gut; aber nur ein Rückschritt oder Unglücksfall und es stürzt Alles zusammen.◊3 Mit mir schlendert’s nun so fort; es ist ein Fehler aller lebhaften, jungen Seelen, dß sie recht viel auf einmal werden möchten; die Arbeit wird dadurch verwickelter und der Geist unruhiger: das ruhigere Alter wird aber Alles ordnen und ebnen. Ich kann nur vier Ziele haben: Kapellmeister, Musiklehrer, Virtuos und Componist. Bey Hummel15 ist z. B. Alles vereint. Bey mir wird’s wohl bey den beyden letzten sich bewenden. Wenn ich nur einmal Alles in Etwas bin, und nicht, wie ich’s leider immer that, Etwas in Allem. Die Hauptsache ist aber doch zu meinem Bestehen ein reines, solides, nüchternes Leben. Halt ich dieses fest, so verläßt mich auch mein Genius nicht, der mich zuweilen in Augenblicken ordentlich wie inne hat. –
Ich muß enden, meine theure gute Mutter, da Carl in zwey Stunden fort will. Bleib mir auch recht gut. ◊4Meinen Julius u. Emilie16 und Doctor’s17 grüße herzlich. Ich schreibe morgen an sie. Du kannst bald einen langen Brief von mir erwarten. Bist du aber in guter Stimmung, so schreib mir ein Paar Zeilen auf diesen Brief, und recht bald.
Lebe wohl. Vergieb mir mein langes Schweigen. Lebe wohl.◊4
Robert Schumann.

◊5Könnt Ihr mir nicht gelegentlich die Bücher schicken,18 die ich in die Kammer hinlegte.

  Absender: Schumann, Robert (1455)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Schumann, Christiane (2895)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: I / Band: 1
Briefwechsel mit den Verwandten in Zwickau und Schneeberg / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-007-0
267ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch; s: 5884 - A2 [gehört zum Brief v.28.04.1831]
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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