Endenich, den 10ten März 1855.
Hochverehrter Meister,
Ihr Brief hat mich ganz freudig gestimmt, Ihre sehr großen Lücken in Ihrer künstlerischen Ausbildung und das sogenannte Violinen-Auge und die Anrede, nichts konnte mich mehr belustigen. Dann dachte ich nach: Hamlet-Ouverture, – Heinrich-Ouverture, – „Lindenrauschen, Abendglocken, Ballade“, – Heft für Viola und Pfte, – die merkwürdigen Stücke, die Sie mit Clara in Hannover im Hôtel einmal Abends spielten – und wie ich weiter nachsann, kam ich an diesen Briefanfang: Theurer Freund, hätt’ ich doch die Drei voll machen können! Reinick erzählte mir immer von dieser Stadt. Auch nach Berlin wäre ich gern nachgeflogen. Johannes hat mir den vorigen Jahrgang der Signale gesandt – zu meinem großen Vergnügen. Denn mir war Alles neu, was während von von [sic] 20. Febr. geschehen. Und so ein musikalischer Winter und der folgende von 1854/55 gab noch nie; so ein Reisen, Fliegen von Stadt zu Stadt – Frau Schröder-Devrient, Jenny Lind, Clara, Wilhelmine Clauß, Therese Milanollo, Frl. Agnes Bury, Frl. Jenny Ney, J. J., Bazzini, Vieuxtemps, Ernst, die beiden Wieniawski, Jul. Schulhoff, und als Componist Rubinstein. Und was noch für eine große Masse Salonvirtuosen und andrer bedeutenden, wie H. v. Bülow. Sehr gefreut hat’s mich, daß Reinecke als Musikdirektor nach Barmen gekommen. Barmen und Elberfeld sind zwei musikalische Städte. Wißen Sie vielleicht, ob van Eyken in Elberfeld angestellt ist. Er spielt ganz herrlich; in Rotterdam hab ich ihn gehört – Fugen von Bach, auch BACH-Fugen, die 1ste und die letzte, auf einer Orgel, die ihm würdig war. Nun schau’ ich auf Sie aus; kommen Sie bald, wär’s mit der Leuchte in der Hand. Das würde mich erfreuen. In Absicht hab’ ich es, die Capricci von Paganini, und nicht auf canonisch-complicirte Weise wie die Amoll-Variationen, sondern einfacher zu harmonisiren, und deshalb an eine gewiße geliebte Frau geschrieben, die sie im Verschluß hat. Ich fürchte, sie sorgt, es würde mich vielleicht etwas anstrengen. Ich hab’ schon viele bearbeitet und es ist mir nicht möglich, eine Viertelstunde unthätig zu bleiben und meine Clara sendet mir immer, daß ich mich geistig unterhalten kann. So komm’ ich tiefer in des Johannes Musik. Die 1ste Sonate, als 1tes erschienes [sic] Werk, war eines, wie nie noch vorkam, und alle vier Sätze ein Ganzes. So dringt man immer tiefer in die andern Werke, wie in die Balladen, wie auch noch nie etwas da war. Wenn er nur, wie Sie, Verehrter, nur jetzt in die Massen träte, in Orchester und Chor. Das wäre herrlich. Nun wollen, wie wir in Gedanken an welche, die uns in Weihestunden so oft ergriffen, gerade denken, uns wie für heute Lebewohl sagen auf baldiges Wiedersehen
Ihr
sehr ergebener
Robert Schumann.
Herrn Joseph Joachim
Hannover.