Wiesbaden d. 21 Juni 1858.
Lieber Joachim,
längst dachte ich daran Ihnen zu schreiben, noch viel öfter an Sie Selbst, aber ich muß die Schuld einigermaßen auf Sie wälzen! Lässigkeit im Schrei ben steckt so leicht an, <> man geräth so in ein Verschieben, wenn man weiß, man bekömmt doch so bald keine Antwort. Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß Ihr Stillschweigen, nach Ihren Betheuerungen, daß Sie mir gleich nach Ihrer Ankunft Nachricht geben würden, mich gekränkt hat, umsomehr als ich weiß, es hat Niemand Sie mehr im Geiste verfolgt und mit innigeren Wünschen, als ich. Und ich konnte nur aus den Zeitungen erfahren, wie es Ihnen ging. Ihr freundlicher Brief nachher zerstreuete wohl die Wolken, doch steigt immer wieder Eine hie und da auf. Ganz werden <S> sie erst schwinden, wenn Sie bei uns in Göttingen sind; <dann werden> werden Sie aber dahin kommen? und wann? ich denke mit Johannes dort Mitte July wieder zusammenzutreffen, meine Kinder kommen auch, auch wohl der Woldemar auf einige Wochen. Herner, der lange im Krankenhause recht schlecht darnieder gelegen, kommt auch, Bach ist da, so wäre denn ein Quartett bald vollständig, wenn Sie <> kämen. Sie dürfen nicht wegbleiben, schon um Johannes halber – nach Ihm verlangen Sie doch gewiß. Sollten Sie das engl musicieren nicht bereits recht herzlich satt haben? nicht Sich sehnen nach einem musikal Stündchen mit Johannes? Sie müßten nicht sein, der Sie sind, wäre es nicht so! – Ich bin seit 8 Tagen hier und muß noch 3 Wochen aushalten, was mir unendlich schwer wird; Marie ist mit mir und ein gutes Kind, aber ich fühle doch immer jede Trennung von Johannes gar schwer! – Bevor ich hierher ging, war ich 8 Tage in Hamburg, da haben wir prächtig musiciert; den größten Genuß bereiteten mir Bach’s Tripel- und Duo-Concerte in D moll, C dur, C moll und C dur. Das war wieder einmal Wonne, obgleich die Quartett-Begleitung fehlte, die wir aber in Göttingen nachzuholen hoffen. Das zweite Tripel-Concert in C dur kannte ich noch gar nicht, und fand es mindestens eben so prachtvoll als das D moll – welch ein Adagio ist da drinnen. Hier wohne ich bei einem großen Musik-Enthusiasten, der eine der seltendsten [sic] musikal Bibliotheken hat, die ich noch gesehen! namentlich besitzt er alte Sachen, Palästrina, Leo, Eccard ect. Ich lebe sehr zurückgezogen, ganz am äußersten Ende Wiesbadens; habe seit 8 Tagen, nach 4 monatlicher Pause, endlich wieder angefangen wenigstens täglich zwei Stunden zu spielen, bin aber außerdem traurig und gedrückt. Das Leid hat doch nie mehr ein Ende für mich, so kann ja auch meine Klage nie verstummen. Ich denke dieser Tage, da ich mit Baden einmal aussetzen soll, nach Bonn zu gehen, um des Theueren Grab zu besuchen, dann auf der Rückkehr hierher Marieen einige schöne Puncte zu zeigen. Hier bleibe ich dann bis zum 8ten oder 10ten. Sie könnten eigentlich über hier kommen, einige Tage hier zubringen, wo ich Sie schöne Waldwege führen wollte, die erst dann mir Freude machen würden, dann mit mir zusammen nach Gött. Wie schön wäre das! Bitte, liebster Freund, schreiben Sie mir bald wenn Sie zurückkehren, nur ein paar Worte, Alles Andere will ich gern warten, bis Sie’s Selbst erzählen. Grüße an Klingemanns, Bennett’s Beide, Buxton, Busby sollten Sie sie sehen (die haben Sie hocherfreut durch die Billete) Horsley auch, Broadwood’s ect. ect. Bringen Sie mir auch recht schön mit zum Einkaufen von Papieren? Sie waren ja die Krone der Saison, <>Sie müßten aus Diamanten jetzt zusammengesetzt sein! – <> Wie freue ich mich darauf! Haben Sie denn meinen Gruß nach England vom 26ten April erhalten? Lassen Sie mich nicht lang auf Nachricht hoffen, ich sehne mich sehr darnach. Ach, hätte ich doch mit Ihnen in England sein können! Ich schickte Ihnen so gern einen bessern Gruß, als <diesen> diesen Brief, einen musikal von unserem geliebten Johannes, doch wag’ ich es nicht ohne seine Erlaubniß „das kleine Meisterstück, ein wunderherrliches Choral-Vorspiel“ abzuschreiben. Ich will Ihn fragen, erlaubt er es, so bekommen Sie bald noch einen Gruß. Er selbst nennt’s nur eine Studie – es ist wohl Dasselbe, als sähen Sie Eine von Raphael. Nun leben Sie wohl, theuerer Freund. Gedenken Sie bald
Ihrer
getreuen
Clara Sch.
Dotzheimer Weg, Nro 1. li Parterre bei Herrn Bogler.