Berlin d. 23 März 1858.
Lieber Herr Kirchner,
schon eher hätte ich Ihnen geschrieben, hätte ich mich nicht geistig wie physisch so ermattet gefühlt, daß ich nichts thuen konnte und es eigentlich noch nicht könnte, Sie jedoch nicht länger auf Antwort warten lassen möchte.
Ihr Brief hat mich betrübt, fast hätte ich mir Vorwürfe machen mögen, das [sic] ich Schuld an seiner Trübe, wäre ich mir nicht bewußt Ihnen in innigem Interresse, als |2| die Künstlerin dem Künstler gegenüber, so zugeredet zu haben – wie hätte ich sonst auch ein Recht dazu gehabt!
Ich hoffe sehr, Sie sind jetzt wieder ruhiger, und arbeiten fleißig an Ihren Präludien? auch gehen Sie doch gewiß nicht mehr damit um, Ihre Stellung in Winterthur ganz aufzugeben? das bleibt Ihnen ja immer noch, wenn Sie einen anderen Ort gefunden, wo Sie Sich behaglich fühlen. Gewiß ist es das beste, wenn Sie erst es versuchen etwa 2–3 Monat im Jahr abwechselnd da und dort zu leben, und dann die andere Zeit ruhig in Winterthur zu arbeiten, zu verdienen, aber dann auch etwas praktischer zu werden.
|3| Denken Sie an die Zukunft, das müssen wir ja Alle, und gewiß, das schändet keinen Künstler, nimmt ihm auch nichts von seiner Genialität, wenn er sie sonst hat. War mein theuerer Robert nicht ein zärtlich sorgender, sparsamer Familienvater und welch eine Künstler-Seele dabei, wie es nur je eine geben konnte.
Von mir kann ich Ihnen nicht viel sagen, ich habe meine Reise schnell und glücklich zurückgelegt, war in Jena, wo ich meine Knaben prächtig fand, dann in Leipzig einige Stunden, und fand auch hier Alles wohl. Den Tag nach meiner Rückkehr erfreuete mich Brahms durch seinen Besuch; er ist jetzt |4| bei mir und musicirt mir viel vor, was mir wahre Wonne schafft, und mich seltner zu dem schmerzlichen Gefühle des Alleinseyn’s kommen läßt. Es war recht wie eine Schickung des Himmels, die mich einen getreuen Freund finden ließ in der schweren Zeit, Den ich eben so verehre, als ich Ihm in innigster Freundschaft anhänge.
Sie erhalten hierbei die versprochene Locke <> von meinem Robert – sie ist klein, weil ich nicht viel Haar mehr von Ihm habe.
Von der Aufführung des Faust weiß ich noch nichts Bestimmtes – ich glaube aber sie wird in der zweiten Hälfte April’s sein. Noch bin ich nicht entschieden, ob ich nach Elberfeld gehe, will erst hören, wie die Parthieen besetzt sind, |5| denn lieber höre ich ihn gar nicht, als mittelmäßig; dazu kömmt noch, daß ich häusliche Verhältnisse hier vorgefunden, welche mir die Reise etwas erschweren.
Herrn Rieter mit Familie wollen Sie schönstens grüßen – bald schreibe ich auch Ihm, sobald ich wegen des Faust Genaueres weiß.
Es soll ┌mir┐ sehr lieb sein, bald wieder von Ihnen zu hören, und dann Freudigeres.
Seyen Sie, lieber Herr Kirchner, herzlich gegrüßt von
Ihrer
Clara Schumann.