23.01.2024

Briefe



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ID: 8516
Geschrieben am: Mittwoch 08.06.1853
 

Vielen Dank für Ihren lieben Brief, wie für die Musik, die ihm beilag, vor allem für Ihre Ouverture, die von den ersten Tacten an mir tiefes Interesse einflößte. Sehr überrascht war ich; – ich vermuthete, da Sie mir den Namen der Tragödie nicht genannt hatten, eine heitre Concert ouverture zu finden, und fand so etwas ganz Andres. Es war mir beim Lesen, als erhellte sich von Seite zu Seite die Scene, und Ophelia und Hamlet träten in leibhaftiger Gestalt hervor. Es sind ganz ergreifende Stellen darin, und das Ganze in so klarer und großartiger Form hingestellt, wie es einer so hohen Aufgabe gemäß ist. Vieles möchte ich Ihnen darüber sagen; aber Worte sagen nur unvollkommen, was man empfindet. Sympathisch vor Allem muß die Musik wirken, und wenn ich das von Ihrer auf mich sagen kann, so mögen Sie das glauben. Was nun, außer den poetischen Menschen in uns, den speciell musikalischen interessirt, dafür haben Sie auch reichlich gesorgt. Die kunstreiche Verwebung der Motive, die Weise, wie Sie schon früher Ausgesprochenes in neuer Art wiederbringen, und vor Allem die Behandlung des Orchesters und dessen eigenthümliche Verwendung zu seltnen Licht- und Schatteneffecten – dies Alles scheint mir sehr preiswürdig. Auch fehlt es nicht an einzelnen kühnen und verwegenen Wendungen, wie der besondere Stoff verlangt, wie mich denn beim ersten Lesen das scharfe Intervall im 3ten Tact (das es) etwas frappirte. Aber im Verlauf des Stückes erscheint gerade dieses Intervall vorzüglich charakteristisch, und durch kein anderes zu ersetzen. Welche Stellen mich noch besonders anmuthen, das ist der 1ste Eintritt des Hauptgesanges in Fdur (dringt hier die Hoboe genug durch?), dann der Eintritt desselben Gesanges in Ddur (in den Hörnern), vorher der Accordenwechsel wie denn das ganze größere Moderato in der Mitte von zaubrischer Wirkung sein muß, – dann auch die letzten Seiten mit den tiefklagenden Horntönen, und die letzten Schlußaccorde – und dann das Ganze. Nehmen Sie denn meinen Glückwunsch zur Vollendung dieses Werkes. Aendern Sie auch nichts daran, bevor Sie es nicht mehrmals gehört. Gern wünschte ich die Ouverture in einem der ersten unserer Concerte aufzuführen. Würden Sie uns vielleicht durch Ueberlassung der Partitur und der Stimmen, wenn Sie in deren Besitz sind, dazu behülflich sein? Auf der Partitur des Beethoven’schen Concerts fand ich meinen Namen durch Ihre Hand eingezeichnet. Ich vermuthe, Sie haben mir dies als Geschenk zugedacht, was ich mit Freuden annehme, um so mehr, da es mich an den Zauberer und Geisterbeschwörer erinnert, der uns durch die Höhen und Tiefen dieses zaubrischen Wunderbaues, den die Meisten umsonst ergründet, mit kundiger Hand geleitete. So will ich mich beim Lesen des Concerts jenes unvergeßlichen Tages recht oft erinnern. Leben Sie wohl, Verehrter und Lieber, und behalten mich in gutem Andenken.
R. Schumann.

Düsseldorf, den <1>8ten Juni 1853.

Heute trat ich mein 43stes Lebensjahr an.

Auch einen herzlichen Gruß von mir nehmen Sie, lieber Herr Joachim, freundlich an! noch immer leben wir in Erinnerung der herrlichen Stunden, die Sie uns geschaffen! Machen Sie, daß recht bald zu den Vergangenen Neue kommen.
Clara Sch.

[Umschlag]
Sr. Wohlgeboren
Herrn Hofmusikdirector J. Joachim
aus Hannover
jetzt
in
Göttingen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort: Göttingen
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
72ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.ep. R. Schumann 24
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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