23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 8167
Geschrieben am: Dienstag 10.10.1882
 

Frankfurt a/m, d. 10 Octbr 82.

Geehrtes Fräulein,

von meiner Reise zurückkehrend fand ich Ihren mir freundlich zugesandten Artikel, und danke Ihnen für das warme Interesse das aus den Zeilen so lebendig spricht. Gern wüßten wir, wo der Aufsatz von Liszt, aus welchem Sie geschöpft, steht, meine Kinder möchten ihn gern besitzen, wenngleich manches darin nicht richtig ist. Andererseits sagt er doch wieder so viel Schönes und Geistreiches, daß Dieses Einen doch erwärmt und erfreut. Da Sie, wie Sie mir schreiben, die Absicht haben, den Artikel noch einmal in einem von Ihnen zu erscheinenden Buche zu bringen, so erlauben Sie mir, Sie auf einige Unrichtigkeiten aufmerksam zu machen. Diese betreffen ganz besonders meinen Vater, der, leider, weil er die Kunst ernst nahm und mich zu ernster Ausübung derselben erzog, in ein gänzlich falsches Licht der Welt gegenüber kam. Die Menschen haben ja keinen Begriff, wie, um es in der Kunst zu etwas Bedeutendem zu bringen, die ganze Erziehung, der ganze Lebenslauf, ein anderer sein muß, als in gewöhnlichen Verhältnissen. Mein Vater hatte bei der künstlerischen Ausbildung vor allem auch die körperliche im Auge; ich studierte nie mehr als, in meinen frühesten Jahren zwei, später drei Stunden täglich, mußte aber auch täglich mit ihm eben so viele Stunden spatzieren gehen, um meine Nerven zu kräftigen. Ferner nahm er mich, so lange ich noch unerwachsen war, stets aus jeder Gesellschaft um 10 Uhr nach Haus, weil er die Ruhe vor Mitternacht nöthig für mich erachtete. Auf Bälle ließ er mich nie gehen, weil er fand, ich brauche meine Kräffte nöthiger, als zum Tanzen, dafür ließ er mich aber stets in gute Opern gehen, außerdem hatte ich schon in frühester Jugend den Verkehr mit den ausgezeichnetsten Künstlern! Das waren meine Kinder-Freuden, freilich nicht mit Puppen, die ich aber auch nie entbehrt. Die Leute, die von solch ernster Erziehung keinen Begriff haben, legten Alles als Tyrannei und Grausamkeit aus, und hielten meine Leistungen, die wohl über das kindliche Alter hinausgehen mochten,nicht für möglich, ohne daß ich Tag und Nacht studirt haben müsse, während es gerade hauptsächlich das pädagogische Genie meines Vaters war, das bei mäßigem Studium durch die vernünftigste Pflege, auch des Geistes und Gemüthes, mich so weit brachte. Zu meinem Schmerze muß ich es sagen, daß mein Vater nie erkannt worden ist, wie er es verdiente! – Ich danke ihm Zeit meines Lebens für alle die sogenannten Grausamkeiten. Wie hätte ich der Ausübung der Kunst bei all den schweren Schicksalen, die mir auferlegt waren, wohl so fort leben können, wenn <> durch meines Vaters Sorge meine Constitution nicht eine so gesunde und kräftige gewesen wäre? – Wie falsch ist es also, wenn man Ihnen sagte, man habe mich so lange am Clavier festgehalten als meine physischen Kräffte es gestattet hätten. Ferner sagt Liszt: trotz vielen Spielens sey mir doch kein Ueberdruß erwachsen; darauf kann ich nur erwiedern, daß ich in vielen freien Stunden in Clavierauszügen von Opern und anderer Musik geschwärmt habe – das kann man nicht, wenn man übermüdet ist. Ein Irrthum ist in der Aufschrifft mit welcher Goethe8 die Medaille umgeben hatte, die er mir schenkte, es steht nicht darauf: „der geistreichen“ sondern „der kunstreichen Clara Wieck.“ Einzelne Unrichtigkeiten im Liszt-Artikel will ich nicht weiter berühren – das steht Anderen besser zu, als mir.
Ich schließe mit der Bitte um eine Antwort wegen des Liszt’schen Aufsatzes, und hoffe daß es Ihnen möglich ist noch einige Aenderungen in dem Aufsatz für das Buch vorzunehmen.
Hochachtungsvoll grüßend
Ihre
ergb
Clara Schumann

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Lipsius, Marie (Preudonym La Mara) (2608)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
835-838

  Standort/Quelle:*) D-WRgs; s: GSA/414,10; D-Zsch, s: 6742-A2 (Entwurf)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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