23.01.2024

Briefe



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ID: 8098
Geschrieben am: Montag 10.06.1844 bis: 11.06.1844
 

Leipzig d. 10ten Juni 1844
Meine liebe Emilie,
Du hast mich gewiß schon ganz aus Deinem Herzen verbannt, und geglaubt, ich denke nicht mehr an Dich, doch gewiß ist dies nicht der Fall, meine Liebe; ehe ich von hier abreiste hatte ich von Früh bis Abend zu thuen und auf der Reise war es vollends unmöglich zu schreiben – jetzt erst, nachdem ich seit 10 Tagen wieder hier bin komme ich dazu. Deinen letzten Brief aus Augsburg erhielt ich in Moskau, der Wunderstadt, mit ihren schönen vielen goldenen Kuppeln! ach, hätte ich nur auf einen Au¬genblick alle meine Freunde auf den Kremlin rufen können, ihnen nur einmal diesen herrlichen Anblick verschaffen können! – Ich will Dir vom Beginn bis zum Ende unserer Reise erzählen, wie ┌es┐ sich in der Kürze nur eben thuen läßt. Wir reisten Ende Januar hier ab über Königsberg, Riga, Dorpat nach Petersburg, wo wir Ende Februar eintrafen. Ich gab dort 4 Concerte mit immer steigendem Beifall, spielte bei der Kaiserin im Cabinet, auch besuchte der Hof alle meine Concerte, von denen das Letzte im Theater das brillanteste war. Anfang April |2| reisten wir nach Moskau wo ich wegen der vorgerückten Jahreszeit (Du mußt wissen, daß der Adel schon mit der letzten guten Schlittenbahn auf’s Land geht, denn im Frühjahr sind die Wege oft 6 Wochen lang nicht zu passieren) nur 3 Concerte geben konnte, aber auch diese mit dem enthusiastischten [sic] Beifall. In Moskau blieben wir bis Ende April und kamen Anfang Mai wieder nach Petersburg, wo wir den vollen Frühling fanden; wir warte¬ten dort bis zum Abgang des ersten Dampfschiffes nach Stettin. Bei die¬sem letzten Aufenthalt spielte ich noch bei der Helene, an Concertgeben dachten wir nicht mehr, im Sommer hat man nicht mehr die Lust – wir sahen uns das schöne Peterburg mit seiner großartigen Newa, der Isaaks¬kirche, dem Admiralitätsthurm ect. noch recht ordentlich an und reisten d. 18ten Mai mit der „Alexandra“ ab. Gleich den ersten Tag hatten wir ein großes Gewitter, das uns Alle in Schrecken versetzte, doch verging es bald und wir hatten eine zwar bewegte doch gute Fahrt. Mir hat die Seereise unendlich gefallen, bis auf ein paar Schreck-Minuten; es giebt doch nichts Großartigeres, als die bewegte |3| See, diese herrlichen schäumenden Wellen, die kleinen Segelschiffe darauf – nun, Du kennst es ja – man vergißt nie solchen Eindruck. Unsere Fahrt dauerte 3 1/2 Tag – bei dem schönsten Morgen sahen wir unser <schönes> liebes Deutschland wieder, und doch, wirst Du es glauben, könnten wir uns wohl entschließen wieder einmal nach Rußland zu gehen, vielleicht wohl gar einige Jahre dort zuzu¬bringen. Wir erinnern uns nur mit Vergnügen dieser Reise, die <ho> uns höchst interressant und keineswegs so beschwerlich war, als wir glaubten. Sie brachte uns auch pecuniären Vortheil, und der sehr ungünstigen Ver¬hältnisse nach machte ich außerordentliche Geschäffte, würde sie aber in einem andern Jahre viel besser gemacht haben, da die Petersburger ganz toll mit der italienischen Oper waren, und sich wirklich an ihr arm gegeben hatten, auch wurde während meiner Anwesenheit das neue Abonnement für nächstes Jahr eröffnet, wo Alle im Voraus bezahlen mußten, was Millionen betrug. Die Garcia hat wahrhaft Furore gemacht – viele Familien haben ihr letztes Hab und Gut auf’s Leihhaus gebracht, um |4| sich nur eine Loge für nächsten Winter kaufen zu können – die Raserei ging in’s Unglaubliche. Die ganze italienische Oper kommt nämlich nächsten Winter wieder hin. Ich habe mich sehr gefreut mit Pauline noch 14 Tage in Petersburg zu verbringen – sie bleibt immer Dieselbe liebenswürdige, anspruchslose Künstlerin. Viele hübsche Geschenke habe ich und auch mein Robert mitgebracht, auch fehlt es an einigen Brillanten nicht, ferner habe ich mir einen schönen Petersburger Flügel gekauft, die unsere deutschen übertreffen, was wohl Niemand geglaubt hätte. Robert hat sich auch sehr gefallen auf der Reise, überall wurde ihm Auszeichnung und Anerkennung zu Theil, und dann interressirte ihn Moskau außerordentlich – sehr hübsche Gedichte hat er dort gemacht, vorzugsweise in Bezug auf den Kremle, die große Iwan’s-Glocke, Napoleon ect. ect. – Meine lieben Kinder hatte ich nach Schneeberg zu Roberts Bruder gegeben, wo sie mit gröster Liebe gepflegt wurden; meine Schwägerin war ein Engel an Sanftmuth und Güte gegen sie, die Amme hatte ich Elischen mitgegeben, |5| und vor 14 Tagen holten wir sie in Schneeberg wieder ab. Wir fanden sie ganz wohl, lieblich und reizend wieder. Marie erkannte uns gleich wieder, und schien ordentlich glücklich uns wieder zu haben – Elise lernt uns erst jetzt wieder kennen, sie läuft vollkommen und fängt nun an zu sprechen – das erste Jahr hat sie bereits zurückgelegt. Marie ist sehr verständig schon, und wir haben große Freude an ihrer Unterhaltung, und Du solltest nur sehen, wie lieb sie mich hat. Es ist doch gar zu Unrecht, daß Du mich noch immer nicht besucht hast – Du willst mich mit meinen Lieben gar nicht sehen! –
Heute erzählte ich Dir nur von uns – Morgen werde ich in Deiner Angelegenheit mit Dir plaudern. Addio bis dahin! –
D. 11ten
Wegen einer Stelle für Euch habe ich mich erkundigt und folgendes erfahren: 3 000 Rubel (nach unserer Rechnung 1 000 Thaler) ist das Höchste, was man einer Gouvernante giebt, dafür verlangt man, daß sie die Kinder in den Hauptsprachen unterrichtet; es muß <jedoch> jedoch jede Dame, welche als Gouvernante nach Rußland geht, erst |6| dort einen Examen machen, der aber in Nichts besteht als der Aufgabe irgend einer Arbeit. Die Hauptsache aber ist, daß Ihr kommen müßt, daß man Eure Bekanntschaft macht – es wird nicht fehlen, daß Ihr binnen kurzem die schönsten Stellen habt, doch Niemand engagirt eine Gouvernante, bevor man sie kennen gelernt, was Du auch ganz natürlich finden wirst. Ich bin überzeugt, daß Ihr <sogleich> die freundlichste Aufnahme findet, doch braucht in Petersburg und Moskau Alles Zeit und möchte wohl erst ein halbes Jahr, oder doch wenigstens ein viertel Jahr vergehen, ehe sich Alles nach Deinem Wunsche findet. Zureden will ich Dir nicht zu solch einem Unternehmen, (man muß das nie thuen) obgleich ich gewiß bin, es wäre gut für Euch, doch meiner Hülfe bist Du gewiß, gehst Du nach Rußland. Ich kann Dir einige Briefe geben die Dir wohl von Nutzen sein möchten. Uebrigens mußt Du bedenken, daß der Gehalt von 1 000 Th. zwar bedeutend, doch in Rußland Alles 3 mal so theuer ist, als bei uns, und daß die Russen sehr auf Staat sehen, Alles muß elegant sein; Du müßtest nun Deine Garderobe so einrichten, daß Du für 2–3 Jahre |7| <> mitnähmest, Alles, Kleider (gleich gemacht) Schuhe, Handschuh, Wäsche, mit einem Worte, Du müßtest Dich auf mehrere Jahre ausstatten, so daß Du in Rußland Nichts zu kaufen brauchtest, denn Alles ist enorm im Preise. Ueber die Gränze bringst Du Alles, was gemacht und zu Deinem Bedarf ist, überhaupt ist man auf der russischen Gränze sehr human, besonders gegen Ausländerinnen. Schreibe mir, was Du vielleicht noch zu wissen wünschst, und ob Du wirklich Lust dazu hast.
Meine Beste, ich muß Dir nun Adieu sagen, Du glaubst nicht, wie viel ich zu schreiben habe, will ich nur die nöthigsten Briefe be-<sorgen>┌antworten┐, die während meiner Abwesenheit gekommen sind.
Grüße die Deinigen tausend Mal und schreibe mir bald – ich bin betrübt, daß ich Dich gar nicht einmal sehen soll! 3 ½ Jahr ist es nun, daß wir uns trennten, auf so lange geschah es noch nie!
In alter Freundschaft
Deine
Clara.
Robert grüßt freundlichst – es will ihm noch gar nicht wieder in Leipzig gefallen.
|8| Monsieur
Monsieur le Général
Baron de Rodiczky
pour Mlle Emilie List
à
Frankfurth
a/m.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
192-197

  Standort/Quelle:*) A-Wgm; s: Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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