23.01.2024

Briefe



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ID: 8083
Geschrieben am: Montag 24.01.1842 bis: 26.01.1842
 


Leipzig d. 24//1 42.
Den größten Bogen suchte ich hervor, und will ihn voll schreiben, – giebt es noch ein Mittel Dich zu versöhnen, so ist es Dieses denke ich, denn Du weißt recht wohl, daß Niemand solche großen Bogen bekömmt, als mei¬ne liebste Freundin, und ehedem mein Bräutigam. Fürerst gieb mir eine Hand und einen Kuß, und nun will ich auch alle meine Sünden bereuen, denn ich fühlte schon seit Monden, wie sehr ich gegen Dich sündigte, beichtete auch täglich meinem Robert, doch in welchem Troubel ich ge-lebt, davon hast Du keine Idee, und da Du nun wieder freundlich bist, so will ich Dir von A bis Z erzählen, damit Du meinen ganzen Lebenswandel genau wissest.
Nach meiner Entbindung, die entsetzlich schmerzvoll war, da das Kind der Accoucheur bringen mußte, ging es mir, trotz aller gehabten Schmerzen, sehr gut. Es giebt wohl keinen größeren Schmerz in der Welt, aber auch Keinen, den man so bald vergäße; glaube mir, es giebt kein größeres Kleinod, als so ein kleiner Engel, wie meine Marie ist. Sie wurde am 13ten September getauft – Gevattern waren mein Schwager, Ma¬dam Devrient (Roberts ehemalige Wirthin), meine Mutter, die aus Berlin dazu kam und Mendelssohn. Es war ein Tag voll der Glückseligkeit, und glaubst Du nicht, daß ich besonders an solchen Tagen immer Deiner ge¬dacht habe? hälst Du mich für ganz undankbar, und, Dein Ernst war es doch <auch> nicht, als Du auf Tod und Leben von mir Abschied nah¬mest in Deinem letzten Brief? Du wirst verzeihen, daß ich, so sehr ich alle meine Schuld fühlte, doch darüber lächeln mußte, denn nichts in der Welt möchte unwahrscheinlicher sein, als <Du> daß wir uns auf ewig von einander lossagten – Nein, meine liebe Emilie, da müßte ich mein Herz verachten, wäre mir je so ein Gedanke gekommen. Siehst du, die Sache ging so: ich wollte Dir immer ausführlich schreiben, doch dazu brauchte ich Zeit; durch das Verschieben aber häufte sich der Stoff immer mehr, und der Moment, wo ich Dir schreiben sollte schien mir immer schwerer, denn Dir schreibe ich nun einmal gern Alles, was mich betrifft, und was Dich sonst interressiren kann. Es wäre mir beinah gegangen wie manchen Capitalisten! einmal ein Loch im Geldsack, und das Loch wird immer grö¬ßer – so wäre es beinah mit uns geworden, hättest du nicht ein Donner¬wort losgelassen. Nun aber weiter: bald nachdem ich aus den Wochen war, bekam ich von Weimar aus eine Einladung, in einem Kapell-Concert im Theater zu spielen, und nahm sie an. Wir reisten Mitte Februar dahin, das Concert war brillant, auch meines Mannes Symphonie wurde gespielt, und ein paar Tage darauf spielte ich bei der Großherzogin, die mich mit einer wundervollen Broche beschenkte, und übrigens gegen uns die Lie¬benswürdigkeit selbst war. Als wir denselben Abend vom Hof zurückkehrten, fanden wir im Hotel auf uns warten – Liszt, der eine Stunde zuvor angekommen, und ganz entzückt war uns zu finden. Wir wollten Tags darauf abreisen, doch daraus wurde nichts! Wagen wurde abbestellt und wir blieben noch einen Tag mit Liszt zusammen. Wir fuhren spatzieren, speisten dann bei ihm, waren Abends bei Lobe bis Nachts 1 Uhr, wo uns die ganze Gesellschaft an die Post begleitete. Ich war trotz allem Vergnügens froh, endlich nach beinah 14 Tagen wieder zu meiner Kleinen zurückzukehren. Liszt hatte die Absicht in Leipzig einige Tage zu bleiben, aber nicht zu spielen, ausgenommen in meinem zu gebenden Concerte ein Duo mit mir, was mich sehr freute. Liszt kam, (nachdem er in Weimar Concert <gegeben> für die Wittwen gegeben (wofür ihm der Großher¬¬zog den Falkenorden verlieh), und mehrmals bei Hof gespielt) und das Concert war das Brillanteste, was ich hier erlebt. Es waren über 900 Menschen darin. |2| Der Beifall war trotz der Anwesenheit Liszts ungeheuer, der Empfang bei jedem Mal Auftreten enthusiastisch. In der Pause ließ sich Liszt zum ersten Male erblicken, und zwar, indem er sich durch die Menschen drängte mit einem wundervollen großen Blumenstrauß, den er mir überreichte, was das Publikum mit allgemeinem Händeklatschen aufnahm. Das Duo zum Schluß machte Furore, so daß wir einen Theil wiederholen mußten. Liszt ließ sich zu einem eigenen Concert 8 Tage da¬rauf bewegen, wo wir das Duo wiederholten (Hexameron für 2 Claviere). Es ist sonderbar, daß Liszt hier im allgemeinen nicht beliebt ist! er spielte, Jedermann staunte, doch wahrhaft hingerissen hat er nicht, als mit einer Fantasie über Thema’s aus Don Juan. Zu Dir gesagt, liebe Emilie: ich betrachte Liszt als keinen wahren Künstler, all sein Trachten ist Beifall, Al¬les Effecthascherei, jedes Lied, das er begleitet, begleitet er so, daß immer sein Ich das hervortretendste ist, immer Effecte, und das kann mich nicht entzücken, <und> so dachten und fühlten auch Viele hier – die Kenner Alle, selbst mein Mann, der doch Liszt sehr lieb hat (– wie ich auch) sagte dasselbe. Gegen uns war Liszt sehr freundlich, aber in Gesellschaft be¬nahm er sich nicht liebenswürdig, arrogant, und, wie soll ich sagen, wie ein verzogenes Kind, eigensinnig, herrschsüchtig im höchsten Grade, ein Fürst kann nicht mehr befehlen als Er, und dieser letzte Punkt war mir schrecklich an ihm – nur nicht gegen seine Untergebenen hart, das hasse ich! – Er bleibt aber bei Alledem ein Mann mit vielen guten Eigenschaften, besonders nobel in vielen Stücken. Liebe Emilie, das im Vertrauen, Du machst nie Gebrauch davon, nicht wahr, denn wir lieben Liszt viel zu sehr, und danken ihm Manches, als daß wir wünschten, es käme zu seinen Ohren.
Nach diesen musikalischen Begebenheiten kam noch eine Soirée bei uns, wo lauter Künstler waren: Liszt, Schober, ein geistvoller Dichter, die Schubert aus Dresden, Madam Ungher-Sabatier (nach Pauline Garcia für mich die liebenswürdigste, bescheidenste Künstlerin, und eine Frau, die auf einer hohen Künstlerstufe steht, wenn auch nicht wie Pauline), ihr Mann, David, die Frege ect. ect. (es war ein interressanter Abend, und ich hätte Euch herbei gewünscht) und dann kam Weihnachten, das mir auch so viel Arbeit machte, daß ich an Nichts Anderes denken konnte. Ich com¬ponirte meinem Robert eine Sonate, die ihn ungeheuer überraschte, Er überreichte mir ein Wiegenlied für Marie und mich, und außerdem gab es noch mancherlei schöne Geschenke. Mein Mann bekam ein [sic] großen, Mariechen einen kleinen Baum, dabei ein Mitzekätzchen, ein Püppchen, ect. Das war ein Vergnügen, und das liebe Kind mit den blauen Augen freute sich trotz seiner Jugend doch schon über all die Lichter. Jetzt ist sie aber schon verständiger, und gleicht ganz dem Papa; sie hat etwas sehr Gutes in ihrem Blick, und ist unsere ganze Freude; alle Leute haben ihre Freude an dem hübschen Kind, das mir übrigens im Anfang viel Noth gemacht, denn ich hatte 3 Ammen, von Denen Keine anschlug, bis zuletzt die Rechte kam.
Nach <Weihhn> Weihnachten dachte ich nun zur Ruhe zu kommen, doch damit war nichts. Ich bekam eine Aufforderung im Neujahrsconcert zu spielen, wozu ich ein Concert von Mendelssohn einstudierte. Nach diesem Concert, wo ich solchen Beifall fand, daß ich noch einmal hin¬auf mußte, und noch Etwas spielen, mußte ich gleich wieder in einer |3| Quartett-Soirée spielen. Du glaubst nicht, wie man mich jetzt, seit ich aus Vaters Hause bin, ehrt und liebt, und eben diese allgemeine Liebe freut mich mehr, als gewänne ich Schätze hier.
Nun weißt Du meinen Lebenslauf bis jetzt; von unserer Zukunft nur so viel, daß wir in 3 Wochen einer Einladung von Braunschweig, Bremen, Hamburg, zufolge dahin reisen werden. In beiden letzteren Städten soll meines Mannes erste Symphonie aufgeführt werden, und er soll sie einstudieren. (Ich vergaß Dir zu schreiben, daß in meinem Concerte seine zweite Symphonie und ein Ouverture, Scherzo u Finale mit vielem Beifall gegeben wurde.) Kann ich meinen Mann bewegen, so gehen wir vielleicht nach Koppenhagen, von wo aus wir auch die dringendsten Einladungen haben. Ich denke aber, uns treibt die Sehnsucht nach Mariechen eher zu Haus. Ich nähme sie so gern mit, doch mein Mann meint, es geschieht ihr mehr Schaden als Nutzen, und da hab ich denn nach einer Verwandten geschrieben, die unter der Zeit zur Kleinen kommt, damit ich sie wenigstens unter guter Aufsicht weiß – ach Gott, wie graut mir vor dem Abschied – der Gedanke ist mir fürchterlich, dieses liebe Wesen vielleicht 2–3 Monat nicht zu sehen – ich werde elend werden. Und doch, wir müssen einmal eine kleine Reise machen, können doch nicht Alles von der Hand weisen.
Musikalisch Interressantes wüßte ich Euch nichts zu schreiben als von Liszt, was Ihr schon wißt und von der Meerti, daß sie dieß Jahr gar nicht gefiel, und zum Schluß ein sehr gering besuchtes und laues Concert machte. Sie soll nichts gelernt, im Gegentheil verlernt haben, seit sie nicht hier war, und ich gestehe, ich fand sie eine sehr unbedeutende Erschei¬nung als Sängerin, aber ein angenehmes, liebliches Mädchen. Sie ist heute fort nach Wien, und Morgen singt die Shaw, auf die wir uns Alle sehr freuen, das ist eine Künstlerin, die Etwas gelernt hat; ich kann das mor¬gende Concert kaum erwarten.
Du schreibst in Deinem letzten Briefe gar nichts von Elise. Wird sie noch im Frühjahr debutiren? wie gehts mit der Stimme, mit dem Lehrer <,>? was singt sie jetzt? sie singt wohl nur Italienisches? hat sie noch immer so schreckliche Angst? auf mich ist sie wohl immer zornig? ich denke, weil ich doch noch immer Etwas an ihrem Singen auszusetzen hat¬te. Was für Pläne habt Ihr? wo ist Dein Vater jetzt? was für Nachrichten habt Ihr aus Amerika? hat Dein Bruder geheirathet? was macht Linchen, oder vielmehr Fräulein Karoline? denn groß wird sie geworden sein. Wie geht’s Euerer Mutter? findet sie sich in das italienische Leben? wie lange bleibt Ihr noch in Mailand? siehst Du, das sind alles Fragen, die Du mir gleich beantworten sollst, – Du wirst doch nicht rachsüchtig sein? Du hast doch auch nicht halb so viel zu thuen als ich.
Von Henriette bekam ich mehrere Briefe jetzt, worin sie schreibt, wie kränklich sie ist. Ich glaube sie hat etwas Schwindsüchtiges. Hus¬ten, Brustschmerzen, Schwäche, das sind Alles Anzeichen; schon seit 3–4 Monaten spielt sie gar nicht, was übrigens gerade kein großes Unglück ist, denn ich glaube, sie würde es nie zu etwas Ausgezeichneten bringen. Und die Sache mit dem Geliebten will mir gar nicht in den Sinn, der erst seine Laufbahn beginnen will, und jünger ist als sie. Doch es läßt sich nichts dagegen sagen, Liebe läßt sich mit nichts bezwingen. Weißt Du, ich denke nur immer, es ist weniger Liebe, als ihrer Fantasie schmeichelnd. Sie findet darin etwas Romantisches <einen> für einen Geliebten zu dulden, mit ihm ein Kind heimlich zu erziehen, es später dann zu sich zu nehmen ect. ect. ich fände das Alles nichts als unvernünftig, abentheuerlich. Warum könnte sie denn das mit dem Kinde ┌nicht┐ den Eltern sagen? würden sie nicht selbst zum Fortkommen desselben beitragen? |4| es sind ja gute Menschen. Ich fände etwas Unschickliches darin, daß ein jun¬ges Mädchen in Gemeinschaft eines Geliebten, der sich selbst noch kaum ernähren kann, <ein Kind> heimlich ein Kind erziehen läßt. Findest Du das nicht auch? –
Ernestine ist Euch jetzt nah, sie ist in Wien in einem Hause als Gouvernante, oder sonst etwas, sie schrieb uns nichts Genaueres, und auch noch nicht, seit sie in Wien ist. Paulinen’s Mutter schrieb mir vor einigen Wochen, daß Pauline mit einem Töchterchen niedergekommen sey, und sich wohl befände. Mich freute die Nachricht sehr, und ┌ich┐ denke, die Stimme, die sie ganz verloren haben soll, wird sich nun wiederfinden, wie das so oft bei Sängerinnen der Fall ist.
Francilla Pixis ist jetzt in Dresden, sie wird wohl auch hieherkommen, soll aber gar keine Stimme mehr haben. Liszt hat in Berlin bereits sein 7tes Concert gegeben, und neulich stand im Berliner Magazin eine Concertanzeige von einem Declamator, und unten darunter als NB. Liszt wird zugegen sein. Ist Dir so etwas vorgekommen? das ist eigentlich eine Bla¬me für die Berliner. – In Wien soll jetzt aber ein 11jähriger Knabe sein, das soll das gröste Genie sein, was seit langer Zeit geboren <war> ist◊7, und das wissen wir von Einem, der sonst sehr schwer zu befriedigen ist. Der Knabe heißt Rubinstein, und ist Klavierspieler, soll ein tiefes Gemüth, und in <manches[?] Einzel> manchen Einzelnen eine vollendete Tech¬nik haben. Es wird gar nicht lange dauern, werden die großen Geister, Genie’s ect. auf dem Stühlchen an’s Clavier gesetzt werden, und spielen, daß die Welt und alle anderen alten Meister, staunen. Ich möchte den Knaben wohl kennen – ein Phänomen soll es sein!
Nun will ich aber schließen, wüßte Dir auch nichts von besonderem Interresse weiter mitzutheilen. Schreibe mir bald, recht bald, und laß mich wissen, was ich Dich gefragt habe, und wie es Dir geht, mit was Du Dich beschäftigst, wie es mit Deiner Gesundheit steht, und wie im Gemüth. Es werden mir alle Briefe nachgeschickt, also der Deinige vor Allen.
Seyd Alle von mir geküßt, und verzeihe
Deiner reuigen Freundin
Clara.
Leipzig d. 26//1 1842.
Marie schickt auch ein Kußhändchen! Linchen würde sich gewiß bald mit ihr befreunden, sie liebt ja wohl die kleinen Engelchen! –
Mein lieber Mann trägt mir herzlichste Grüße auf, und wünschte doch auch von Elise bald zu wissen, wie sie fortgeschritten in ihrer Lauf¬bahn, und was die schöne Stimme macht.
Noch einen besonderen Kuß, meine liebe Emilie! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Mailand
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
153-163

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 3242-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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