23.01.2024

Briefe



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ID: 8028
Geschrieben am: Dienstag 08.09.1835
 

Liebe, gelehrte, liebenswürdige, gute, Schulmeisterin und Freundin,
Dein Brief hat mich entzückt und besonders Deine guten Rathschläge, wofür ich Dir meinen herzlichen Dank abstatte. Nie hab ich einem Rathe gefolgt, doch wenn eine so liebenswürdige Predigerinn gute◊1 Rathschläge giebt dann hört alle<s> <auf> Unfolgsamkeit auf. – Was die Sache mit Schumann und Ernestine anbetrifft so muß ich Dich recht herzlich aus¬lachen, denn <alles das, was ich Dir geschrieben> ich weiß weder etwas von heirathen noch sonst etwas. Ich glaube am Ende daß dieß alles nur ein Traum <von mir> war, den ich Dir mittheilte, nur daß ich vergessen habe, hinzuzufügen, daß es ein Traum ist. Was die Voigt anbetrifft so ist alles war [sic] was Du weißt. – Vor 8 Tagen ist Mendelsohn angekom¬men und auch schon bei uns gewesen. Er ist sehr liebenswürdig. Weiter will ich nichts sagen, denn sonst würdest Du mir am Ende so viel gute Rathschläge geben, daß ich nicht wüßte, welchen ich eher befolgen sollte. Er wird nächsten Sontag <d>meinen Sechzehnten Geburtstag bei uns zu Tische feiern. Die wohlbekannten Herrn hatten sich eigentlich beabre¬det ein Tänzchen im Geheimen bei uns zu veranstalten doch mein Vater entdeckte es mir und ich und Er zogen es vor lieber mit Mendelsohn und Schumann ganz unter uns zu sein, und mit dem Tänzchen auf Dich zu warten. O, ich freue mich auf Dich sehr. Nun wirst Du die Gouvernante erst einmal gut geben können. Denn wenn man erst bei einer häuslichen Tante gewesen ist, dann hört alles auf. Am Ende gehst Du gar nicht mehr mit mir um, denn Elise7 macht schon den Anfang, indem sie sehr selten zu mir kommt und öfters schon zu mir gesagt hat, „Sag es aber meiner Mutter nicht daß ich mit Dir gesprochen“. Dies sowie auch meine viele Arbeit hat mich abgehalten zu Deiner Mutter und Elise zu gehn, denn unmöglich kann es Deiner Mutter angenehm sein wenn ich hinkomme, da sie Elise gar nicht zu mir läßt, welche doch gewiß viel weniger zu thun hat als ich, besonders seitdem Du fort bist. Ich freue mich allemal so sehr wenn Elise zu mir kömmt, aber schmerzlich ist es für mich, wenn ich allemal denken muß, daß sie Deine Mutter nicht gern zu mir gelassen hat. Wenn sie kommt spricht sie allemal gleich, (wenn ich sage „leg ab“) „ja ich kann aber nicht lange bleiben“ oder sie spricht „ich muß gleich wie¬der fort[“]. Du wirst, wie ich von Dir als Freundin hoffe, Deiner Mutter, so wie auch der Elise nichts von dem allen schreiben. Nun jetzt zu etwas Anderem. – Langweilige Tanten Gesellschaften zu besuchen, hättest Du lange aufgeben können und hättest können meinem Beispiele folgen doch mündliche Rathschläge sind immer beßer als schriftliche, darum will ich sie versparen bis auf 4 Wochen wo ich hoffe Dich wieder an meiner Seite sitzen zu haben. Ich habe jetzt sehr wenig gespielt. 3 Wochen hat das Cla¬vier geschlafen. Ich habe aber auch viele gearbeitet. 1) Eine Partie Walzer componirt und instrumentirt und man hat sie schon im Kuchengarten und im Hotel de Prusse mit Beifall gegeben. 2) habe ich ein Manuscript zum Druck fertig geschrieben. 3) Mein Concert vollendet, wo das Adagio in der Mitte bloß mit obligatem Violoncello ist. 3) fange ich an es jetzt zu instrumentiren. 4) habe ich eine große schöne Sonate von Schumann (einer Beethovenschen gleichzustellen) einstudirt ect. Ist es bei Euch auch so troken wie hier? Eben regnet es nach vielen Wochen <eine> ein wenig. Aber je mehr ich in Deinem Briefe lese, desto mehr bedauere ich, daß Du nicht meine Hofmeisterin und Gouvernante sein kannst. O, wie ganz anders würde ich sein. Bescheiden, von allen Menschen geliebt, ge¬achtet, taub gegen alle Schmeicheleien würde ich sein, nicht so verdorben, stolz, verachtet ect. würde ich sein. |2| O ich unglückliches Mädchen. Wie schlimm ist das, wenn man keine erfahrene Gouvernante zur Erzieherin gehabt hat, sondern unerfahrene Väter, so wie es mir geht. Du thust ja in Deinem Briefe, als wenn Du einmal nächstens Deinen Mann durch Deiner Hände Arbeit ernähren müßtest! Nun, das ist sehr schlimm. Deine plötzliche Krankheit kannst Du nur der Anstrengung zuschreiben wel¬che Dir die guten Rathschläge aufzuschreiben verursacht hat. Du wirst hoffentlich wieder Kraft genug haben, <wenn> wenn Du diesen Brief erhältst, um wieder für neue Rathschläge, für den nächsten und letzten Brief an mich zu sorgen.
Liebe Emilie, Du wirst Dich wundern, daß ich meine Freude, Dich wieder hier zu sehen nicht lauter werden laße, doch glaube mir, Niemand freut sich mehr als, ich kann es nur nicht so ausdrücken.
Den Brief an Madam Voigt hab’ ich ihr gegeben, sie hat auch wie¬der an Dich schreiben wollen, doch sie sagt sie hätte so viel zu thun, daß sie gar keine Zeit übrig hätte. Michaeli zieht sie aus und da hat sie viel zu thun. Ich sehe sie sehr wenig. Daß Du so weit von Stuttgard bist habe ich nicht geahndet. Ich glaubte, es wäre so ohngefähr 1 Stunde entfernt, wo Du wohnst.
Den Namen der Oper wovon Du mir schreibst kann ich nicht le¬sen, was mich sehr dauert. Mit der Livia ist es aus, denn sie geht von Berlin fort nach Weimar und warum wirst Du fragen? Nun ich will es Dir erzählen. Sie hat Epoche in Berlin gemacht, das ist wahr, und alle Sängerinnen Berlins geschlagen. Doch alles Dies ist nicht Schuld, sondern ihre Schönheit. Nähmlich der Prinz Albrecht von Preußen hat sich in sie verliebt, besuchte <S>sie in ihrem Logie, auf der Bühne in ihrer Garde-robe und lebte mit einem Worte mit ihr im Einverständnisse. Dies wollte der König nicht leiden und sagte, „Geld geben – fortschaffen“ und nun muß sie fort. Es ist auch recht gut für sie, denn ihre Stimme soll in der letz¬ten Zeit ganz weg gewesen sein, sie hat nur Nebenrollen geben können. Ihr Vater sitzt immer noch hier auf dem Rathhause. Deine Predigt über Schauspieler hättest Du sollen Herrn Schumann in seine Zeitung einsen¬den. Er würde sich gewiß sehr gefreut haben. Wünschest Du es, so kann ich es gleich thun. Sie hat mich sehr gefreut. Du sprichst, wie ein Buch. Dir meine Meinung zu schreiben, wäre überflüssig, denn so was wag’ ich nicht und könnte auch nur Deine Meinung theilen. Mündlich mehr. Eben ist Herr Schumann da, und läßt Dich grüßen. Der Vater ladet ihn eben auf nächsten Sontag ein. O wie freue ich mich darauf.
Ich habe nicht Zeit Dir noch mehr zu schreiben, liebe Emilie, denn Deine Mutter will den Brief gleich haben, darum lebe tausend und aber¬mal tausend wohl.
Ich bleibe Deine
stolze, eitele, bescheidene, kindische, treue, treue, treue, ewig treue
Clara.
|3| Nachschrift.
Eben denk’ ich daran, ob ich auch in Dir noch dieselbe Emilie finden werde, die mich verließ. Ich gehe nicht nach Berlin. Später mit meinem Vater wahrscheinlich, aber jetzt ist nicht daran zu denken. Zu Stegmay¬ers komme ich gar nicht mehr denn Er thut dumm, daß ich nicht bei ihm meinen Walzer instrumentirt habe, sondern ohne ihn und äußert sich überhaupt nachtheilich über meine Compositionen. Er ist den ganzen Tag betrunken und spricht dabei immer, daß er vom Wasser lebte. Auch Sie hat sich seit 14 Tagen nicht sehen lassen. Nun, so lauft hin! <Sein> Ihr Bruder wird auch diese Messe 3 Wochen hier bleiben. Nun, da wird es vollends arg mit Stegmayer werden. Eben erfahre ich, daß die Livia in Berlin bleibt. Es muß sich also wieder regulirt haben. Auch hat der Vater den Namen der Oper „Anna Bolena“ herausstudirt. Oh, sie ist unter aller Kritik schlecht. Ich habe die Schröder darin gesehen.
Eben lese ich meinen Brief noch einmal durch, und <habe> fühle Reue, Dich so geneckt zu haben mit den Rathschlägen. Doch, nicht wahr, liebe Emilie, Du nimmst das nicht übel und bist nicht böse. Du weißt ja, <wie ich es meine[?]> daß ich es nicht böse meine. Es würde mir sehr leid thun Dich beleidigt oder geärgert zu haben. Doch vielleicht ärgerst Du Dich eben so wenig darüber, als ich <es g> über Deine Schauspieler Geschichte, obgleich sie wahr ist, was bei mir nicht der Fall ist. Ich muß mit Gewalt mich von diesem Briefe losreißen, denn es ist besser mündlich als schrifftlich, besonders mit Schneckenposten.
Adio! geliebte treue Freundin.
Clara.
D. 8ten Septembr. 1835.
|4| Fräulein Emilie List.
in
Blaubäuren.
d. G.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Blaubeuren
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
66-70

  Standort/Quelle:*) A-Wgm; s: Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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