23.01.2024

Briefe



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ID: 8026
Geschrieben am: Donnerstag 18.06.1835
 

Leipzig d. 18ten Juni 1835.
Liebe Emilie,
Endlich gewinne ich ein Stündchen Zeit, Dir zu schreiben, würde aber auch jetzt noch keine Zeit gehabt haben, wenn nicht heute das 2te Concert von Lippinski wäre, wo der Vater nicht spazieren geht, damit ich arbeiten kann. Wir machen jetzt nämlich jeden Morgen einen Spaziergang in das Rosenthal über Felder und Wiesen, weil wir Adelheid Brunnen trinken. An Lippinski versäumst Du nicht so viel, als Du vielleicht glaubst. Er hat einen großen Ton auf der Violine, verschmäht aber alle Feinheiten des Vortrags, und läßt das Gefühl kalt. Er hat eine kleine Tochter mit hier, welche das Ebenbild Deiner Schwester Elise ist. Sie spielt recht ┌hübsch┐ Clavier. Der Vater hat ihr mehrere Stunden gegeben. Wie ich aus Deinem Brief ersehe, so gefällt es Dir in Stuttgard recht wohl <,>. Nun, das freut mich sehr, obgleich ich das Gegentheil wünschte, um Dich bald wieder hier zu sehen. Du glaubst nicht, wie einsam es mir jetzt hier vorkömmt. Viel hast Du versäumt, daß Du der Stegmeiern ihren Bruder nicht gesehen hast, denn er war täglich, fast stündlich betrunken. Was ist Herr Schunke für ein Mensch? |2| Er scheint Dir ziehmlich die Cur zu machen. Nun, „Glück zu“. Herrn Schumann überbrachte ich die Hiobspost nebst einem Uhrbande von meiner Wenigkeit. Was ihn mehr entzückte, diese schöne Hoffnung, auf den einzigen Besitz seiner Liebesgöttin, oder das Band der ewigen Liebe aus meinen Händen, das weiß ich nicht. Als er diese dunkele mistische Stelle in Deinem Briefe las, überzog ihn ein uns wohlbekanntes sanftes schwärmerisches Lächeln, und eine kleine Röthe. Hast Du Dich denn nicht erkundigt, wen man für ihren Bräutigam ausgiebt? Das [sic] Du so schöne Engländer zur Gesellschaft gehabt hast freut mich sehr. Ich hoffte schon als ich es las, daß vielleicht 2 schöne Augen auf dein Helden Gesicht gefallen waren, und wer weiß, ob es nicht so ist. Du bist wohl gar am Ende in Stuttgard eine Betschwester geworden? Gehst Du fleißig in das Theater mit Herrn Schunke? Grüße ihn unbekannter Weise von mir. Er muß, Deinem Brief zufolge ein recht hübscher Mensch sein? Er hat Dich gewiß sehr in sein Herz geschlossen, daß er Dir als Pfand seiner Liebe Billette in die Concerte bringt! Neulich war ich auch in Lestoque, was mir sehr gefiel. Die Musik ist eine der besten mit von Au¬ber. Die Livia war als Schäfermädchen reizend darein. Sie ┌gab┐ auch hier ein Abschiedsconcert, welches aber wenig besucht war. Ich sollte darin spielen, doch der Vater hatte seine Gründe, es nicht zu thun. Sie sang einige |3| Lieder von Bank wunderschö[n, gefiel] auch damit am meisten. Seitdem ist immer große [Nachfrage] nach seinen Liedern. Die Livia hat sich hier verschie[de]ne Feinde gemacht, indem sie sich einige Zeit vor ihrem Concert immer bei Ringelhardt krank melden ließ ohne es zu sein. Ringelhardt setzte jedoch in den das Tageblatt, einen Tag vor ihrem Concerte „Da Fräulein G. wegen Krankheit nicht singen kann im Ro-meo, so wird das und das dafür gegeben.“ Dieß schadete ihr nun sehr, indem man nun sah, daß es Caprice von ihr war indem sie denselben Tag ihre Concertprobe hielt. Man hatte sich vorgenommen, sie im Theater das letzte Mal zu bekränzen, doch daraus wurde nun nichts, indem Sie gleich Tags darauf nach ihrem Concerte nach Weimar abreiste, um dort <Concert> ┌im Theater Gastrollen┐ zu geben. Sie hat dort sehr gefallen und man hat sie engagirt für 12 Hundert Thaler, freie Garderobe, jedes Jahr 3 Monate Urlaub, jetzt kann sie noch 3[?] [M]onate ausruhen, (welche sie aber auch bezahlt bekommt,) und braucht als späterhin immer nur aller 14 Tage einmal zu singen. Das läßt man sich schon gefallen. Sie war zwar in Berlin engagirt, doch die Herzogin von Weimar will es daselbst bewirken daß man sie <fort>┌ent┐läßt. Vorigen Sonntag, als d. 15ten waren wir bei Stegmayers zum Kaffee und unterdess hatte Mariechen das Unglück mitten in der Stube hinzufallen und das Bein zu brechen. Stegmeiers sind jetzt ganz unempfänglich für die Kunst, denn als wir ihnen Billete zum 1ten Concert von Lippinski schickten, ließen sie sie liegen und fuhren nach Lützschena. Liebe Emilie, es wird Zeit mich zum Concerte anzuziehen, darum muß ich schließen. Schreib mir bald wieder und verzeihe mir meinen eiligen Brief. Ich will hoffen, daß Du ihn lesen kannst. Herr Banck sowie Herr Schumann lassen Dich grüßen.
Auf immer
Deine Freundin
Clara Wieck
Ich hatte keine Zeit Dir alles zu schreiben, was ich weiß; doch es wird im nächsten Briefe folgen, d. h. wenn Du mir erst wirst wieder geschrieben haben.
Alle waren entzückt über Deinen schönen witzigen Brief damals.
Liebe Emilie, zeige diesen Brief Niemand, denn er ist zu schlecht ge¬schrieben.
Meine Eltern, sowie alle Herren lassen Dich grüßen. –
Die Livia ist dem Gerüchte nach Braut des Lieutenants von Schimpf, welchen Sie jetzt recht gut leiden mag. Er reißt ihr nach wohin sie reißt!
|4| Fräulein Emilie List.
in Stuttgard.
d. G.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Stuttgart
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
55-59

  Standort/Quelle:*) A-Wgm; s: Slg. Cornides
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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