23.01.2024

Briefe



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ID: 7541
Geschrieben am: Dienstag 20.09.1870
 

Baden d. 20 Septbr. 1870.
Liebe, verehrte Freundin,
welch eine Ueberraschung war mir Ihr Telegramm und welche Freude Ihre Briefe! endlich hörte ich wieder von Ihnen, wonach ich mich so oft gesehnt hatte! und nun hatten Sie noch gar an meinen Geburtstag gedacht, wie sehr erfreute mich dies! Daß wir uns den ganzen Sommer nicht sahen war mir eine wahre Entbehrung! Wie oft dachte ich daran, wo Sie wohl sein müßten, und ob wir nicht auch dahin könnten! aber der Krieg ließ Einem doch schließlich keine Gedanken an das eigene Wohl mehr aufkommen. Bei mir kommt jetzt nun leider die Nothwendigkeit, die mich zwingt, die eigene Existenz in Betracht und Ueberlegung zu ziehen! Sie wissen ich hatte eigentlich die Absicht wieder nach Wien zu gehen, wo ich doch vielleicht einzig und allein in Deutschland diesen Winter auf ein Verdienst rechnen kann, jedoch zieht mich mein Herz gewaltig dahin wo ich den Austausch mit völlig Gleichgesinnten habe, kurz, in’s Centrum Deutschlands, und ich meine das wäre doch Berlin. Ich möchte dort, bis ich nach England gehe, leben, und von dort aus verschiedene mir bereits schon gebotene Engagements in nahe liegende Städte annehmen, so daß mir doch nicht alles Verdienst abgeht! ich habe daher nach Berlin geschrieben, und Erkundigungen wegen Logie eingezogen – erwarte dieser Tage Antwort darauf. Ich dachte schon bald fort zu gehen! erstlich ist es schrecklich kalt hier, dann fehlt uns jeder Austausch, wir verkehren mit Niemandem, auch sind die Gesinnungen hier doch sehr französisch. Wir haben diese „Einsamkeit in jeder Hinsicht“ so lange ertragen, daß ich ein wahres Sehnen nach anregendem Verkehr habe. Sobald ich etwas bestimmt habe, theile ich es Ihnen mit. Eugenie geht jedenfalls wieder auf 3 Monate nach Berlin, dann mit uns nach England.
Sehr erschreckt hat es mich zu hören, wie viele Sorge Sie wieder gehabt haben, und daß Sie selbst auch wieder krank waren! Gott sey Dank, daß Sie jetzt wieder freier sind, und Ihr Schwager ganz hergestellt ist! – Den mir zugedachten Brief nach Gastein habe ich mir verschrieben – ich will wenigstens nichts versäumen mir Denselben noch wieder zu verschaffen.
Von meinem Ferdinand hatten wir Brief, daß er jetzt wohl bereits vor Paris steht – Sie können denken wie mir das Herz schlägt. Die Hoffnung, die Sie so liebevoll für meinen Ludwig aussprechen ist leider ganz ungegründet – der Arzt zweifelt ganz und gar an seiner Genesung.
Von Julie hatten wir jetzt gute Nachrichten, sie ist aber ganz bedenklich krank einige Tage gewesen, was uns Marmorito erst jetzt mittheilte.

D. 23
Ich ließ meinen Brief noch liegen, weil ich hoffte Nachricht von Berlin zu erhalten, und Ihnen Bestimmtes mittheilen zu können, es scheint sich aber in die Länge zu ziehen, so will ich denn Dieses lieber abschicken, damit Sie doch bald wissen, wie sehr erfreut Sie mich haben.
Grüßen Sie Ihre lieben Schwägerinnen und Schwager mit meinem herzlichen Glückwunsche zu seiner Wiederherstellung, und bleiben Sie, liebe Freundin, gut
Ihrer treu ergeb Clara Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Lazarus, Sarah (918)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 18
Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-055-1
203ff.

  Standort/Quelle:*) D-Buh, s: Nachlass Lazarus, II, 307
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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