23.01.2024

Briefe



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ID: 7538
Geschrieben am: Mittwoch 15.07.1868
 

St. Moritz d. 15 July 1868
im Dorfe
Pension Wettstein.
Liebe, verehrte Frau,
wie innig bedauere ich, Sie und Ihren verehrten Mann nicht gesehen zu haben! ob ich hoffen darf Sie in Interlaken zu sehen? ich weiß es nicht, möchte auf alle Fälle aber doch gern wissen, wie lange Sie dort bleiben, und wo Sie wohnen? ich habe eine solche Sehnsucht nach dem Berner Oberlande, und der Gedanke, Sie dann dort zu treffen, ist mir so lockend, daß ich es doch vielleicht einrichte. Ich muß nun ’mal erst sehen, wie ich mich nach Verlauf der 4 Wochen hier befinde, und auch – wie meine Casse dann beschaffen ist! – Es ist eine großartige Natur hier, ich staune immer über die enorme Wildniß, den tiefernsten Charakter der Natur, aber sehne mich nur umsomehr nach dem schönen erquickenden Oberland. Oder liegt es vielleicht an mir selbst, an meiner so sehr gedrückten Stimmung! die Sorgenlast ist jetzt so groß bei mir, daß ich oft meine, ich könne nicht frei mehr athmen. Ich weiß nicht, ob Marie Ihnen davon erzählt – die Jugend sieht eben, und ein Glück ist es ja, daß es so ist, alles leichter an, aber glauben Sie mir, theuere Frau, es ist fast zu viel, was jetzt auf mir lastet. Ich arbeite immerfort an mir es zu bewältigen, und erliege ja, dem Himmel sey Dank, auch nicht, aber, matt hängen die Flügel, und ich weiß nicht, wie’s nächsten Winter gehen wird! Und auch Sie haben wieder große Sorge, wie ich aus Ihren lieben Zeilen ersah? das ist ja recht traurig! ich meine gerade für die Venen Ihrer lieben Schwägerin müßte Moritz sehr heilsam sein!die Luft und die Bäder sind hier wundervoll, und für einen längeren Aufenthalt Moritz weit vorzuziehen vor Kaltbad Rigi. doch, der Arzt weiß das ja wohl besser! die Arme! sie hat gewiß dem Schmerz über den harten Verlust zu sehr nachgehangen? – Wie sehr gern spräche ich Sie ’mal wieder! zu Pfingsten traf es sich so unglücklich, daß Sie gerade fort waren, und ich abreiste als Sie zurückkehrten. Ich schrieb Ihnen damals in Berlin, schickte aber mein Briefchen nicht ab, weil ich’s nicht fertig brachte. Ich kam von Carlsbad, und hatte in Leipzig so Trübes durchgemacht, daß ich nicht ’mal die Fassung zu ’nem kurzen Briefchen fand, ich konnte nichts Zusammenhängendes denken, was mir um meinen guten Jungen schrecklich leid that – der ist so vortrefflich! Wollen Sie mir gütigst Näheres über sich mittheilen, damit ich weiß, wo ich Sie erreichen kann! ich bleibe hier bis zum 29 oder 30t July. Meine Elise möchte so gerne über Italien zurück, aber es soll nach der Cur hier nicht gut sein, der plötzliche Wechsel der Temperatur – einige Tage Aufenthalt in einer niedereren [sic] Schweizer Gegend viel heilsamer.
So seyen Sie denn mit dem theueren, verehrten Manne, auf das herzlichste gegrüßt, und sagen Sie auch Frau Dr Steindahl meine Grüße und Wünsche für ihr Wohl!
In alter Treue
Ihre
Clara Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: St. Moritz
  Empfänger: Lazarus, Sarah (918)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 18
Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-055-1
170ff.

  Standort/Quelle:*) D-Buh, s: Nachlass Lazarus, II, 303
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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