23.01.2024

Briefe



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ID: 7370
Geschrieben am: Samstag 11.03.1848
 

Hochzuverehrender Herr Dr!
Sie werden gütigst entschuldigen das [sic] ich mir erlaube Sie mit einem Schreiben zu belästigen, allein, Ihnen einmal das Gefühl kund zu geben, welches ich gegen Sie hege bewog mich dazu, es ist das, der innigsten Ver-ehrung. Als ein wahres Zeichen möge beiliegende Composition dienen, bei der Sie mir stets vor Augen schwebten u. Vorbild waren; u. hätte ich wohl ein besseres Vorbild wählen können? Ich sage Nein; denn bei mei-nem frühern Vorbilde konnte meine Fantasie nur immer mehr u. mehr erschwachen; (– das haben wir an allen jungen Componisten wahrgenom-men die sich demselben anschlossen; – ich meine F. Mendelsohn-Barthol-dy –; wenn sie auch nicht aufhören werden zu componiren so bringen sie doch nie etwas Neues od. originelles zu Tage –) während Ihre höchst genialen Compositionen mich immer mehr u. mehr begeistern u. meine Fantasie stärken. – Beiliegende Composition ist eine Sonate in 4 Sätzen. Ich habe ziemlich 1/2 Jahr daran gearbeitet, jedoch manchmal 1, 2 auch mehrere Wochen, sogar |2| einmal 2 Monate ausgesetzt; aber hatte ich Gelegenheit wieder etwas von Ihrer Composition zu hören, ja sogar nur mit dem Gedanken an Sie erwachte auch stets das Gefühl der Verehrung u. gab mir neuen Muth, so daß ich meinem Vorsatze treu geblieben, bevor das neue Jahr eintrete, selbige fertig bringen zu müssen, endlich der letzte Tag anbrach u. das Werk vollendet war. Nicht wahr! Sie erweisen mir die Ehre die Dedication derselben anzunehmen? – Sie würden mich zu einem unendlichen Danke verpflichten, den ich Ihnen ohnedem schon schulde für die leider zu kurze Anweisung in der Composition im hiesigen Conservatorium, an die ich noch mit dem größten Vergnügen denke. Dies läßt einen Wunsch in mir aufsteigen den gewiß alle wahren Kunstfreunde mit mir theilen werden: daß Leipzig Sie ja recht bald wieder den Seinigen nennen dürfte. – Nach Vollendung der ganzen Sonate ging ich zu 2 der ersten hiesigen Kunstkenner, es waren dies: Musikd. N. W. Gade, u. Prof. Lob[e] um mir ein unpartheiisches Urtheil über dieses Werk zu holen[,] (Verzeihen Sie, daß ich selbige Ihnen nicht gleich zuschicke, um Ihren Rath zu erst zu befolgen.) ehe ich Ihnen selbige zuzuschicken gedachte; diese riethen mir im 1ten Satze die Durchführung zu verkürzen u. ich erlaube mir sie Ihnen mit beizulegen. Ich glaube, das sie um be-deutenderes kürzer u. auch besser geworden ist; habe zwar noch nicht Gelegenheit gehabt einen von diesen H. sie vorzulegen. Ich muß aber offen gestehen, daß höchst ungern Änderungen mache wenn ein Werk einmal fertig ist aber ich fand, daß das Werk nur gewinnen konnte, u. in sofern entschloß ich mich die Änderung vorzunehmen. Ich fand zwar früher selbst das hier etwas fehlte oder vielmehr zu lang sei, aber einige kleine mir nicht unliebe Stellen zu benutzen u. |3| des Themas soviel wie möglich auszuarbeiten ließen mich diese Längen vergessen. H. Musikd. Gade wollte noch eine Abkürzung der Einführung des Themas zum zwei-ten Male im letzten Satze haben; dies könnte wohl durch Hinweglassung 4–8 u. s. w. Takte geschehen, allein, dadurch würde die Composition wenig od. gar nichts gewinnen. – Noch einige Änderungen die ich mich ent-schloß vorzunehmen sind: I) große Griffe soviel als möglich zu vermei-den, so daß sie nie od. höchstens selten eine Octav überschreiten; dies war auch Gade’s Wunsch, der es dadurch spielbarer fand; obgleich ich Willens war auch der neuern Virtuosität etwas zu nähern. – II) Sämmtliche ital. Kunstausdrücke mit deutschen zu vertauschen, sogar p, f, dim. Allegro, ritard. Andante, Adagio. u. s. w. Dies habe ich mir nicht nur als Mitglied des Tonkünstlervereins bei der ersten Versammlung desselben zur Aufgabe gemacht, sondern es muß am Ende in der Interesse eines jeden Musikers zu seiner Kunst sowie eines jeden Deutschen zu seinem lieben Vaterlande selbst liegen. – III) Alle Cis dur Vorzeichnungen mit Des dur zu verwech-seln; aber dann müßten auch wenigstens einige Takte vorher die beiden Oberdominantaccorde an beiden vorhergehenden Tonarten engharmo-nisch [sic] verwechselt werden. – Ueber alle bisherigen Punkte soll jedoch Ihr guter, mir so theure Rath entscheiden. – Ein Philister, (denn anders kann ich ihn nicht nennen) hat mich der Quinten beschuldigt; dies wäre sehr kleinlich von mir wenn ich darin nur die geringste Veränderung ma-chen wollte; ich sehe, daß es große Componisten der alten u. neuen Zeit gethan haben, – ich erinnere vorzüglich an Chopin etc. Ich sage, daß die Fantasie gar keine Regel kennt, wenigstens eine solche nicht. Würde denn der alte Zopf nur endlich einmal aufhören? – Zeit würde es! –
Sollten Sie irgend wo (mag es sein wo <es> u. was es will, mag es viel od. wenig sein) zur Verbesserung dieses Werkes beitragen können so haben Sie ja die Güte u. lassen mir es recht baldigst wissen |4| ich würde Ihnen nicht nur sehr dankbar, dafür, sondern es würde auch für mich sehr lehrreich sein.
Nur noch die Bitte: „Würden Sie mir wohl bei der Herausgabe dieses Werkes behilflich sein?[“] – Sie wissen, wie es jetzt jungen Componisten erschwert wird zur Veröffentlichkeit ihrer Werke zu gelangen, wenn sie nicht schon wenigstens ein etwas bekannten Namen haben oder sich Leute von großem Ruf ihrer annehmen; deshalb wende ich mich an Sie. Ich habe zwar schon einige Opus von mir gedruckt; aber es sind dies nur kleine einfache Lieder welche bei Siegel u. Stoll hier erschienen sind, u. d[urch] diese Kleinigkeiten kann mein Name ein noch nicht bekannter [sein;] insofern sehe ich mit großer Sehnsucht der Herausgabe der Sonate entge-gen, wenn selbige mir auch keinen bleibenden Namen sichern wird. – H. Whistling (bei dem in einigen Wochen 1 Heft von 8 Lie[dern] erscheint, die Fräulein S. Schloß gewidmet sind –) wollte so freundlich sein mit H. Böhme (Inhaber des „Bureau de musique“ v. Peters) zu sprechen; ich habe aber das Resultat dieser Besprechung noch nicht erhalten.
Endschuldigen [sic] Sie meiner Freiheit u. seien Sie der vollkommen-sten Hochachtung versichert von
Ihrem
ganz ergeb.
A. E. Büchner.
Meine Wohnung ist: Barfußmühle 2t Hof rechts, 2 Treppen.
Leipzig d. 11ten März 1848
Endschuldigen Sie daß ich Ihnen die Sonate in einem so schlecht geschriebenen <Exemplar sende[?]> u. ungebundenen Exemplar zuge-schickt habe; es geschah alles in der größten Eile.

  Absender: Büchner, Emil (278)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 20
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Korrespondenten in Leipzig 1830 bis 1894 / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller und Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-030-8
216-219

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 19, Nr. 3455
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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