Wien den 30 <Dec> Nov. 1853.
Ich kann, verehrtester Herr, unseren jungen Freund seine Danksagung an Sie nicht abschicken lassen, ohne auch die meinige für Ihre schöne Gabe hinzu zu fügen. Der Zufall fügte es, daß ich an demselben Tage, wo ich Ihre Balladen empfing, die Musik zu hören bekam, weil ich mit meiner Frau in ein musicalisches Haus eingeladen war, und ich wurde von der Gewalt Ihrer Töne namentlich da erschüttert, wo im Haideknaben die Erzählung des Traums eintritt. Wundern werden Sie sich, wenn ich Ihnen gestehe, daß diese Ihnen eigenthümliche neue Form in mir die Hoffnung gemeinschaftlicher Verständigung zwischen Ihnen und mir über ein Problem, das mich seit langen Jahren beschäftigt, erregt hat. Was würden Sie zu einem Drama sagen, das sich, seines ungeheuren Umfangs wegen, bis auf wenige Parthieen, ganz im Allgemeinen hielte und deshalb durchgehend von der Musik so zu begleiten wäre, wie z. B. die Ballade, die Sie |2| melodramatisch behandelten? Ein solches Werk wird mein Moloch, an dem ich nun schon zehn Jahre arbeite und der nichts Geringeres darstellt, als den Eintritt der <W> Cultur in eine barbarische Welt. Doch darüber läßt sich nicht schreiben, nur reden und Sie stellen uns ja einen Besuch in Wien in Aussicht. Geben Sie den Gedanken ja nicht auf; es sind hier doch noch immer viele echt musikalische Elemente beisammen: wer weiß, ob diese nicht durch Sie das ihnen gebrechende geistige Band erhielten? Mit Sicherheit kann man unter’m wandelbaren Mond freilich auf Nichts rechnen, aber oft machte ich schon die Erfahrung, daß das persönliche Auftreten Wunder wirkt. Hier kommt von mir jetzt die Genoveva zur Aufführung, aber wie? Zerfetzt, zerstückt, zerrissen, zerschlissen und unter dem Namen: Magellona, weil keine Heilige auf die Bretter kommen darf!
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin zu geneigtem Andenken und seyen Sie herzlichst gegrüßt.
Ihr
Fr. Hebbel.
|4| Herrn Dr R. Schumann,
Hochwohlgeb.
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