23.01.2024

Briefe



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ID: 6391
Geschrieben am: Sonntag 07.05.1837
 

Cassel am 7ten Mai 1837.
Hochgeehrtester Herr Redacteur!
Vor jeher habe ich auf die Frau Musika immer ein freundliches Auge gehabt. Ich habe mich in der That nichts verdrießen lassen, mich ihrer hohen Gunst würdig zu machen. Ich habe ihr Alles zu Gefallen gethan; bin ihr zu Liebe über Berg und Thal gelaufen; war ihr, was man so sagt, im eigentlichsten Sinne des Wortes ein gefälliger Augendiener und noch mehr; ja zu ihren Füßen habe ich mich geworfen, (an alten kräftigen Schinken aus Fux, Matthesons, Marpurgs Schornsteinen zwar mich ordentlich gestärkt) und habe gebeten und gebettelt sie möchte mich doch zu einem Untervögtlein in ihrem großen Reiche machen, damit ich im Stande wäre mich auf eine angemessene Weise mit ihren Günstlingen wie z. B. mit Ihnen zu unterhalten, oder aus deren gegenseitigen Unterhaltungen so viel wie möglich Belehrungen zu ziehen. Man soll sonst, wie man mir gesagt hat, viel bei Frauenzimmern ausrichten, wenn man ihnen knieend seine Huldigungen darbringt; aber bei mir waren die Künste umsonst. Die stolze Dame guckte (aus ihrem finsteren Castell, in dem sie mir wie verbannt *(zu hyperbolisch) vorkommt) auf mich herab, wie der Engel Gabriel auf einen Wurm. Auch kein Zug von Wohlwollen und Gunst und dergleichen war |2| war in ihrer sonst und überall so gefälligen und geistreichen Miene gegen mich zu lesen. Und dies Alles brachte mich auch einmal beinahe zur Verzweiflung.
Beruhigt, durch den Gedanken: daß ich es treu, wahr und innig gemeint, daß ich mich nicht, wie viele andere, ihr genähert um zu spaßen und Gauckeleien oder Seiltänzersprünge (vertraute Spaziergänge oder Fahrten abgerechnet) mit ihr zu treiben, zog ich mich großmüthig zurück, und wollte nun mein ganzes Leben lang musikalischer Junggesell bleiben. Im vorigen Jahre wurde ich jedoch durch Vermittlung eines Musageten gleichsam genöthigt, mit meiner Herrin in ein öffentliches Verhältniß zu treten. Da haben mir zwar die Priester des Rechts der Wahrheit und der Pflicht die Meinung ordentlich gesagt, mich zu den willigen Ehemännern gezählt, denen wohl die innere Kraft mangelt, ihr Hauswesen mit Umsicht verwalten zu können, die so zu sagen, aus allzugroßer Liebe d. h. aus Schwachheit unter dem Pantoffel zu stehen kommen; aber wer benimmt mir den Glauben, durch wohlgemeinte Rathschläge der Ehrenmänner von Classicität, durch Ausdauer mit dem festesten Willen nach Jacotot’s Grundsätzen (der nichts will, was man nicht kann) ein Beethoven, Bach, Mozart, Haydn und alles Mögliche werden zu können.
Ich hatte die gute Absicht eine Unterhaltung mit Ihnen anzuknüpfen, die auf jeden Fall viel interessanter gewesen seyn würde, als das egoistische Geklingel eines alltäglichen Briefes. Da sollte erst ein Adagio stehen in dessen sanfter |3| Bewegung und zarten Modulationen die Gefühle der Freundschaft, die ich gegen Sie hege, sich auf das Eindringlichste Ihrem inneren geistigen Auge darstellen sollten. Dann sollte ein Intermezzo folgen, in ungebundener leichter Spielart, um Ihnen zu zeigen wie ich munter und leichten Sinnes über die Blumen und Dornen meines prosaischen Lebens hinweghüpfe. Im Finale endlich sollte in rauschenden Akkorden und Tiraden, die Freude vor Ihrem tonkünstlerischen Sinne zu einer mächtigen Flamme gleichsam auflodern, die ich bei der Hoffnung empfinde Sie recht bald in dem freiumsichtvollen, musikalischen Athen persönlich kennen zu lernen. Aber da ist mir’s vorläufig vergangen wie dem Schulknaben das Philosophiren über Florestan- und Eusebius fis moll Sonate, die gegenwärtig vor mir liegt. Es bleibt mir also kein anderer Ausweg, als auf eine sehr gewöhnliche Weise mit Ihnen zu conversiren.
Das redliche Streben Ihrer Zeitschrift für Musik und namentlich die Aufmerksamkeit und gütige Nachsicht, die mir in No 17, 5ter B zu Theil geworden, giebt mir den Muth, läßt mich die Frechheit nehmen, Sie, Ihrem Urtheile ganz vertrauend um gefällige Durchsicht beifolgender Sätze früherer Versuche zu bitten. Es sind 6 Lieder ernsten Inhalts und 1 Hymnus für 4 Männerstimmen, 6 Lieder für 1 Singst. deren Texte durch Veranlassung von mir in Töne gekommen, und 1 Art Fantasie, Elegie genannt. Sollte etwas darunter seyn, was Ihren Beifall fände, so würde ich mich herzlich freuen, und gewiß würde sich dann auch ein Verleger finden.
Leider werden wir Paulus nicht zur Aufführung bringen können. Die hiesigen Singvereine haben deshalb die Proben dazu beendigt. Erster Pfingstag großes Vocal- und Instrumentalconzert im Hoftheater. 8te Symphonie von Beethoven, außerdem will uns Spohr mit seinem Spiel erfreuen. 2ter Pfingstag zum ersten mal die Weißmützen von Auber. Gestern wurde die Oper Aline, nach langjähriger Ruhe, wieder zur Darstellung gebracht.
Mit
Hochachtung
Ihr
gehorsamer Diener
J. N. Endter.

  Absender: Endter, Nikolaus (40509)
  Absendeort: Kassel
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 26
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka, Thomas Synofzik, Eva Katharina Klein und Michael Beiche / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-051-3
247-250

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 5 Nr. 617
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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