23.01.2024

Briefe



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ID: 6225
Geschrieben am: Donnerstag 11.07.1839
 


Bougival den 11ten Juli
Verehrter Freund
Ihre Zeilen haben mich sehr erfreut, und ich danke Ihnen herzlich für die Theilnahme, die Sie für mich ausgesprochen haben. <Cla> Clara’s An¬wesenheit hier war ein Glück für mich; sie hat uns getröstet und mit uns geweint; sie fühlt so gut, daß es Augenblicke gibt wo der Trost unnütz ist, wo nur Theilnahme den Schmerz lindern kann. Clara hat ja selbst schon so viel gelitten; und es steht ihr noch Manches bevor, bis sie das Ziel erreicht worauf sie schon so lange strebt. Von ihrem Vater ist noch keine Nachricht da; was wird er schreiben? Ich suche sie auf das Äußerste vorzubereiten; sie sieht dem Brief mit Muth entgegen, und ist entschloßen sich durch Nichts, was es auch sein möge, angreifen zu laßen; aber be¬rühren wird es sie doch; sie müßte nicht so zartfühlend sein. Was mich in Ihren letzten Briefen erschreckt hat, ist die Möglichkeit Claras Gegenwart in Leipzig könne nothwendig sein zu der gerichtlichen Entscheidung. Sie selbst werden einsehen, daß sehr viel gegen diesen Schritt spricht, und daß er nur in der äußersten Nothwendigkeit gewagt werden kann. Ich will nichts davon sagen, daß der Zweck der Pariser Reise gänzlich verfehlt sein würde, dieß ist verhältnißmäßig nur Nebensache. Aber wie könte Clara in einer Stadt mit ihrem Vater wohnen, ehe Ihnen das Recht zuerkannt ist sie vor den Beleidigungen zu schützen, die ihr gewiß widerfahren würden; wo sie keinen Schritt aus dem Haus thun kan ohne befürchten zu müßen ihrem Vater oder ihren Verwandten ┌zu┐ begegnen <zu müßen> u so fortwährend den empfindlichsten Kränkungen, den bittersten Vorwürfen ausgesetzt ist. Und dann, muß doch auch jedes Mädchen und besonders eine Künstlerin, die der öffentlichen Critik bloßgestellt ist, Rücksichten auf Aüßerlichkeiten nehmen; nicht Jederman würde Claras Aufenthalt in Leipzig in einem fremden Hause mit unsern Augen, als eine grausa¬me Nothwendigkeit, ansehen; die Leute aus Liebe zur Verleumdung, aus heimlichem Neid, würden Clara um den Ruf zu bringen suchen, der ihr theurer ist als ihr Künstlerruf. Bis jetzt ist noch ┌keine┐ |2| Künstlerin wie Clara, als Mädchen ebenso geachtet und ausgezeichnet worden wie als Künstlerin, in allen Gesellschaften lobt man ihr bescheidenes Auftreten, ihr liebenswürdiges Benehmen, ihr unschuldiges Wesen nicht weniger als ihre große Kunst. Ein einziger Verstoß gegen den aüßeren Anstand kann sie um dieß Alles bringen. So lange sie in Paris ist fällt <die Trennung> es nicht auf, daß sie getrennt von ihren Eltern lebt, ist sie aber in Leipzig u wohnt in einem fremden Hause, so werden Sie sehen welche Lügen man ersinnen wird; u wie Clara der Neugierde u der Verlaümdung preißgege¬ben ┌<w>┐ wird. Und glauben Sie, daß Clara die Kraft hätte ihrem Vater vor Gericht persönlich gegenüber zu stehen? Ich kann es nicht glauben. Und gesezt, Clara hätte Kraft sich über dieß Alles hinwegzusetzen, wür¬de ┌nicht┐ Herr W. zu allen möglichen Mitteln greifen, seine Tochter in seine Gewalt zu bekommen, bis zur Entscheidung des Gerichts? Würde er ihr nicht drohen? Ach nein, Clara darf nicht nach Leipzig bis Alles ent¬schieden ist; sie würde diesen vielen Kämpfen unterliegen. Sie können sie zwar für dieß Alles entschädigen, aber Ihr Wiedersehen wäre doch nicht so, wie es nach so langer, schmerzlicher Trennung sein sollte: ferne davon, sich Ihrem Glücke überlaßen zu können, müßten Sie die Augenblicke, die allein der Freude gewidmet sein sollten, durch Mitheilung Ihrer Befürch¬tungen, durch Geschäftsgedanken, durch ungeduldige Erwartung der Entscheidung, trüben, u die Poesie der Liebe wäre hin. Aber ich glaube, es hätte nicht so vieler Worte bedurft um Sie von der Unzweckmäßigkeit dieses Schritts zu überzeugen. Ich dächte eine Vollmacht müßte diesel¬be Kraft ausüben; sprechen Sie mit Ihrem Advokaten recht dringend <> darüber, u sagen Sie ihm er möchte nur etwas aussinnen was Claras Gegenwart unnöthig macht, denn sie könne nicht kommen. Advokaten können ja Alles.
|3| Jezt zum Geburtstag unserer lieben Clara. Allerdings würde sie das Bild am Meisten freuen; nur fürchte ich, gibt es in Leipzig keinen ausge¬zeichneten Miniatur Maler, und es wäre doch ärgerlich wenn das Neue, den zweien die sie schon von Ihnen hat, nicht gleich käme. Besonders der Stahlstich ist von einer frappanten Ahnlichkeit <,> wenn man sich erst einmal damit befreundet hat; beim ersten Anblick sieht er zu ernst, zu düster aus. Seit wir auf dem Lande sind, hat Clara ihn aufgehängt <,> dem Flügel gegenüber; sie unterhält sich während des Spiels sehr oft mit Ihnen; aber sobald Besuch aus der Stadt kommt, ist es sehr spaßhaft mit anzusehen, wie Sie Ärmster, Ihres Ehrenplatzes beraubt werden, u ge-nöthigt sind, sich in Ihre vorige Einsamkeit zurück zu begeben. Es würde Clara unendlich freuen ein ähnliches Pendant zu ihrem Bilde zu haben; nur glaube ich, daß man schwerlich in Leipzig einen solchen geschickten Maler finden wird, wie der, der Clara gemalt. Erkundigen Sie sich, und theilen Sie es mir mit, wenn Sie einen gefunden haben, damit ich mich darauf freuen kann. Ueber das Andere werde ich Ihnen bald schreiben; ich muß ein Wenig Zeit haben um Claras Wünsche unvermerkt erforschen zu können. Ein schwarz seidenes Kleid wäre glaube ich unzweckmäßig, da sie zwei sehr schöne hat; wovon sie eines erst kürzlich gekauft. Schreiben Sie mir welche Farbe Sie nach schwarz am Meisten ┌an Clara┐ lieben, denn in diesem Kleide werden Sie Clara hoffentlich recht oft sehen. Ich will <stattdem> inzwischen zu erforschen suchen, ob sie sich überhaupt ein Kleid wünscht, oder ob ihr etwas Anderes mehr Freude macht. Schreiben Sie mir recht bald darüber, Clara ist nicht eifersüchtig; wenn Sie mir Et¬was schreiben was sie nicht lesen darf so denkt sie schon, daß es nur sie betreffen |4| kann. Ich werde Ihnen später schreiben wie Sie es machen müßen, <um> damit ich weiß auf welcher Post ich <es> ┌die Geschenke┐abholen muß. Verzeihen Sie diesen eiligen Wisch, ich werde ungeduldig, wenn meine Feder nicht eben so schnell geht wie meine Gedanken.
Von Herzen grüßt Sie Ihre
treue Freundinn
Emilie List.
Herrn Robert Schumann.

  Absender: List, Emilie (962)
  Absendeort: Bougival
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
106-110

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. R. Schumann 2,86
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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