23.01.2024

Briefe



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ID: 6101
Geschrieben am: Freitag 24.08.1838
 

Cassel am 24ten August
Hochgeehrtester Herr!
Mit Sygristen und gewöhnlichen Orglern war schon im vorigen Jahrhundert nichts anzufangen, geschweige nun gar jetzt, wo unser musikalischer Horizont mit nervenschwächenden Dünsten aus dem Süden und Westen zu sehr angefüllt ist, als daß man auf kräftige Genesung rechnen dürfte. Verzeihen Ew. Wohlgeboren, wenn ich erst jetzt wieder etwas von mir hören lasse, – verzeihen Sie auch, wenn ich noch einmal in meinem gewöhnlichen Musikanten Tone, der ja den wohlmeinenden Zweck hatte Sie, der Sie immer mit abstracten Dingen zu thun haben, in<s> das Alltägliche zu führen, um gleichsam ein mal auszuruhen, – mit Ihnen zu schwatzen anfange. Der verflossene Winter, der die Herzen mancher Menschen mit einer eisigen Rinde überzogen, treibt mich von hier weg, nach meinem Geburtsorte. Mittlerweile wurde <hier> der gefeierte Paulus von Mendelsohn unter Spohrs Leitung zum Besten des Unterstützungs Fond für Witwen und Waisen verstorbener Musiker aufgeführt, und soll nach dem Urtheile aller seine Wirkungen nicht verfehlt haben. – Ich reißte nach Gotha |2| und wollte dann nach Leipzig um Sie persönlich kennen zu lernen und zugleich, von Ihrer Discretion überzeugt, ein mündliches Urtheil, auf das ich seither schriftlich vergebens gehofft, zu hören über meine Versuchskompositionen – da wurde ich auf einmal wieder durch die hier anstehende Feier eines 50jährigen Dienstjubiläums – zurückgerufen. – Am 6ten Mai wurde nun in der hiesigen lutherischen Kirche zum Andenken an den vor 100 Jahren zuerst darin gehaltenen Gottesdienst und zur dankbaren Erinnerung aus Dank seinem Geber des Kaiser Landgrafen Friedrich Wilhelm zugleich König von Schweden das Utrechter Te Deum von Händel unter Spohr’s Leitung gegeben. Die Solo’s sangen Fräulein Therese Spohr’, welche uns zu <weh[?]>Leidwesen Aller zum letzten Male mit ihrer kräftigen sonoren Stimme erfreute, (Sie starb am 1 Pfingsttage an dem Tage an der Paulus wiederholt unter Leitung des Herrn Musikdirectors Baldewein aufgeführt wurde) Fräulein Pfeiffer, Baldewein, Madame Zahn (geborne „Spohr“)
Am 30 Juny von den beiden hiesigen Musikvereinen Liedertafel und Eunomia zum Besten der in Rockensüs Abgebrannten im Saale des Stadtbaus Großes Vocal- und Instrumental-Konzert
1, 4te Ouvertüre von Kalliwoda
2, Das Posthorn, Lied mit Horn und Pianoforte-Begleitung komponirt und vorgetragen von Herrn H. Schäffer gewesener 1 Tenor Sänger am Hamburger Stadttheater eine niedliche Komposition, welche durch bekannte Posthorn-Klänge noch mehr zu interessiren schien.
|3| 3, Violin-Konzert von de Beriot, wacker vorgetragen von unserm kleinen Violin Virtuosen Jean Bott.
4, Männerchor „Heldengesang in Wal<t>halla“ von Stunz
II Theil
„Das Lob der Eintracht“ Kantate in zwei Abtheilungen. Gedicht von K. H. Prätzel, komponirt für Männerchor von H. Schäffer. eine Komposition welche, gut vorgetragen, viel Wirkung macht. Eine darin vorkommende Tenor Arie, vielleicht der Glanzpunkt, so wie ein Duettino (bei welchem ich an ein Duett Recitat aus Mozarts Kantate an die Freundschaft erinnert wurde) haben mir am Besten gefallen. Die Chöre sind recht kräftig gehalten. Das Fugen Thema ist, meiner Meinung nach, für einen Text wie
[Noten]
Ein geist’ger Bau besteht in Ewigkeit (Mehr darüber werden Sie in der allgemeinen Zeitung für M. von Fink lesen können.) sowohl rhythmisch, als melodisch, zu bekannt (entre nous) Es wäre recht wünschenswerth, daß Herr Schäffer diese Kantate, so bald als möglich im Drucke erscheinen ließ. Manchem Männervereine wäre es eine sehr freundliche und willkommene Gabe. – Ich fühle mich eigentlich als Correspondend und namentlich in Beziehung auf Sie als Redacteur im Urtheilfalle über Werke zu schwach, und hatte mir auch vorgenommen (da man bei den uneigenützesten und reinsten Absichten, nur Wahrheit wollend, mißverstanden ja verkannt wird,) nichts mehr über Musik zu schreiben (mündlich würde ich Ihnen recht viel Stoff für die Neue Zeitschrift erzählen können); aber seyd 3 bis 4 Wochen habe ich aus der hiesigen Hofbuchhandlung von Luckhardt kein Blatt der Neuen Zeitschrift für Musik erhalten – –
Was ist dem Erscheinen hinderlich? Es wurde da gesagt, der Herr Redacteur habe wahrscheinlich keinen Stoff mehr, und wenn alle Correspondenden |4| so viel schreiben (resp. so saumselig wären) wie der hiesige, dann würde gar kein Blatt mehr erscheinen können, und da habe ich’s noch ein mal gewagt, Ihnen ein wenig unter die Arme zu greifen. – Aber können Sie mir oder viel mehr wollten Sie mir in der musikalischen Welt nicht einiges Ansehen, das heißt aber nur der Wahrheit und Wahrheit die Ehre, – verschaffen – so sagen Sie mir ganz offen – (ohne von der Hoffnung die mich immer nur ein bischen weiter führt) ob die von mir an Sie allein nur zur g. Beurtheilung anvertrauten Noten einigen Werth haben – im letzten Falle – bestimme ich den Werth zu einer fernen Ausbildung, reise nach Leipzig (es ist zwar etwas kalt dort, allein das ist eben für eine zügellose Phantasie am zweckmässigsten) und verweile einige Monate um in Ihrer Nähe unter Ihrer Leitung eine größere Komposition die schon einigermaßen begonnen, zu vollenden. Da ich wenig Mittel dazu habe, so müßte ich einige Unterrichtsstunden daneben geben – um meine dortige Existenz zu sichern – woran es durch Ihre Güte nicht fehlen wird <nicht fehlen wird> Ich bitte nun hierüber Ihre kräftige, teutsche allseitige Meinung darüber.
Von dem Sängerfeste auf dem ich die hiesige Liedertafel representirte, und dadurch interessante Bekanntschaften, mit Rinck, Schnyder v Wartensee, Alois Schmidt, Guhr pp gemacht ein andernmal von
Ihrem
Sie hochverehrenden N. Endter
Am 20ten August, zur höchsten Geburtstagsfeier seiner Hoheit des Kurprinzen u Mitregenten zum ersten Male der schwarze Domino von Auber. Während der Meßzeit wurden die Opern, Romeo u Julie, die Kreuzritter von Egypten, die Weißmützen, pp der Domino wiederholt, zur Aufführung kommen.

  Absender: Endter, Nikolaus (40509)
  Absendeort: Kassel
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 26
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka, Thomas Synofzik, Eva Katharina Klein und Michael Beiche / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-051-3
259-263

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 7 Nr. 1089
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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