23.01.2024

Briefe



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ID: 5887
Geschrieben am: Sonntag 14.04.1839
 

Schloss Lenzburg im Canton Aargau in der Schweiz den 14. April 1839.
Hochgeehrter Herr Schumann,
Herr Capellmeister G. Wiedebein in Braunschweig, mein werther alter Freund, erlaubt mir um mich bei Ihnen einzuführen, seinen Nahmen zu nennen. Auf diesen mich stützend bin ich so frei Ihr geneigtes Wohlwollen in einer Angelegenheit anzusprechen, deren Erledigung mein erstes Verlangen ist. Ich suche nämlich für die Zöglinge meiner Erziehungsan¬stalt2 einen Lehrer, welcher Geschick und Kenntniss besitzt, um Unterricht im Gesang und Clavierspielen zu ertheilen. Er braucht nicht Virtuose zu sein, handelt es sich doch bei uns nicht um Bildung von solchen; allein er muss so ┌viel┐ Fertigkeit besitzen, dass er durch sein Spiel auch dem Liebhaber zeigen kann, welche Anforderungen an ihn zu machen sind; er muss den Gesang so zu leiten verstehen, dass der Zögling im Verein mit Andern musikalisch thätig wirken, sich selbst auch Muth und Trost |2| in’s Herz singen könne; er muss ohne die neuere Musik durchaus zu verwerfen, für das Studium der ernsten ältern Eifer und Liebe zu erwecken wissen.
Nun aber wünsche ich von vorn herein der Ansicht entgegenzuwirken, als wären die Zöglinge meines Hauses in der Musik schon weit vorgerückt; ach nein, alle sind vielmehr Anfänger.
Könnten und wollten Sie mir, hochgeehrter Herr Schumann, einen Lehrer vorschlagen, so scheuen Sie nicht Ihre Aufmerksamkeit auch einem jüngern Manne zuzuwenden; was einem solchen an Erfahrung etwa abgehen mag, ersetzt oft der größere Eifer. Kommt er mit der Lust die stille Abgeschiedenheit eines Erziehungshauses zu eigener Weiterbildung zu benutzen, so wird es ihm während einiger Jahre bei uns gefallen. Später wird er sich selbst hinaustreiben: denn wie der zeichnende Künstler schauen muss, so muss der musikalische hören! – Fast will |3| mir überflüssig erscheinen Sie noch besonders zu ersuchen, einen solchen Mann auszuersehen, dessen sittliches Verhalten vorwurfsfrei zu nennen ist. Leider habe ich früher einmal die Erfahrung machen müssen, dass der sittliche Verfall eines Lehrers nicht ohne nachtheilige Einwirkung auf die Zöglinge blieb.
Die Zahl der Unterrichtsstunden beläuft sich wöchentlich auf 30 bis 33. Der jährliche Gehalt beträgt 30 Carolin’s, nebst Wohnung, Heizung, Nahrung, Wäsche, Beleuchtung, Aufwartung. Die Herreise auf dem geradesten Wege und mit Beförderung wird vergütet.
Ich wünsche dass der Lehrer mit dem 1. September bei uns eintrete. Verpflichten werden Sie mich ungemein, wenn Sie mich recht bald von dem Erfolge Ihres gütigen Bemühens in Kenntniss setzen wollen. Würden Sie vielleicht durch Ihr geehrtes Blatt anfragen, so bitte meinen Nahmen nicht zu nennen, sondern nur zu sagen, dass eine Erziehungsanstalt in der Schweiz einen Lehrer suche.
Verzeihung meiner Dreistigkeit um des Freundes Willen!
Mit hochachtungsvoller Gesinnung
Ihr
ergebener
Christian Lippe.
|4| Sr. Wolgeboren
Herrn Dr. Robert Schumann,
Redactor5 der neuen musikalischen
Zeitschrift
in Leipzig.
Frei.

  Absender: Lippe, Christian (12574)
  Absendeort: Lenzburg
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
736ff.

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 8 Nr. 1234
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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