23.01.2024

Briefe



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ID: 5429
Geschrieben am: Samstag 02.05.1840
 

Geehrtester Herr Doctor!
Die gütige Erlaubniß, die mir bei meiner Abreise in die Schweiz von Ih¬nen zu Theil wurde, an Sie einmal schreiben u. die Verhältnisse hiesigen Instituts mittheilen zu dürfen, läßt mich es jetzt wagen, Sie mit einigen Nachrichten darüber zu belästigen. –
Ihnen, geehrtester Herr, habe ich meine jetzige Stellung zu verdanken, die ich angenommen zu haben, nie bereuen werde. – Dieses Institut, auf dem Schloße nahe an der Stadt eingerichtet, wird vom H. Chr. Lippe geleitet, u. besteht aus Zöglingen meistens jungen Franzosen u. einigen Schweizern die in allen Fächern der Wissenschaft u. Kunst so weit ausgebildet werden, daß Sie mit der völligen Reife entweder den Handelsstand oder ein Gymnasium oder auch die Universität betreten können. Zu dieser Ausbildung sind gegenwärtig zwölf Lehrer angestellt. – Um nun dieses Fach zu erwähnen womit ich mich mit den Zöglingen beschäftige, so muß ich bemerken, daß es von mir sehr vernachlässiget gefunden wurde. Allein durch die Lust u. Liebe welche die Knaben zur Musik zeigten, wurde auch mein Eifer immer größer u. ich brachte in diesem Vierteljahre die Musik auf den Standpunkt, wie sie, ohne mir zu schmeicheln, nach Aussage aller Lehrer u. Bewohner der Stadt seit langen Jahren nicht gewesen war. Ein Beweis davon nehme ich mir die Freiheit hier zu geben, indem ich nächst vielen Liedern u. Motetten, wie von Reissiger, Drobisch, Rolle, Mühling etc. deren |2| mehrere auch in der Thomaskirche zu Leipzig gesungen werden, auch das ganze Oratorium „Der sterbende Jesus“ v. Rosetti, sowohl Solis als Chöre mit den Zöglingen allein <durch>mit Partiturspielen einstudirt u. so am Charfreitag Nachmittag vor einem großen u. Kunstliebenden Publikum mit großem Beifall zur Aufführung gebracht habe; ein Fall, der so lange als das Institut besteht noch nicht vorgekommen war. – So wurde es gestern den 1. Mai auf Verlangen zum zweitenmal aufgeführt wo mehrere Freunde aus Montpellier mit <z>als Zuhörer zugegen waren. – Auch im Pianofortespiel sind die Zöglinge so weit, daß ich nächstens eine ┌kleine┐ musikalische Abendunterhaltung veranstalten werde. –
Der Unterricht in Streichmusik wird von andern Lehrern ertheilt. – Wöchentlich findet unter uns Lehrern einmal Quartettmusik statt, für Streichinstrumente, theils Quartette v. Onslow, Mendelssohn, Mozart, Haydn etc. theils aber von Reissiger u. Bertini Trios mit Pianofort – Mein ganzes Streben in der Musik soll nur dahin gehen, mich Ihrer gütigen Empfehlung u. Ihres auch hier in der Schweiz großen Namens so viel als möglich würdig zu machen. –
Was nun die Musik der Stadt anbetrifft, so steht diese keineswegs in Verbindung mit der auf dem Schloß. Es ist in der Stadt ein Musik u. Gesangverein beide aus Dilettanten bestehend, letzterer Verein ist von Nägeli u. Pfeifer gegründet. |3| In beiden Vereinen bin ich zum Mitglied ernannt, u. in einem von denselben veranstalteten Concerte<n> einmal im Pianofortespiel öffentlich aufgetreten u. nochmal im Gesang. So übernahm ich im Osterconcert, welches in der Kirche statt fand u. darin der 1te Satz aus der C dur Symphonie v. Beethoven, drei Chöre u. Gesänge aus „Moses“ v. Rosini [sic], u. dann das „Vater Unser“ v. Naumann, (eine merkwürdige Zusammenstellung), – die Baßparthie des Pharao im „Mo¬ses“ u. einzelne Solis in Naumanns Vaterunser. – Für hiesiges Orchester schreib ich jetzt eine Ouverture. – In der Schweiz finden überall nur Dilettantenvereine statt. Nächsten<s> July ist in Basel das große schweizerische Musikfest aus allen Vereinen der Umgegend bestehend; unter anderem kommt der Psalm v. Mendelssohn mit zur Aufführung. – – Sie entschuldigen wenn ich zu weitschweifig geworden bin, allein ich glaubte diese Notizen Ihnen mittheilen zu dürfen, damit Sie sähen, wie meine Lage gegenwärtig wäre. Wenn ich nun schließlich noch eine Bitte wagen dürfte, die Sie mir aber nicht übel deuten mögen, so wäre es diese, da ich doch so weit vom Vaterlande entfernt sehr leicht ganz fremd erscheinen könnte wenn ich einmal wieder zurückkehrte zumal von meinem jetzigen ┌abgeschlossenen┐ Wirkungskreise aus, daß Sie meiner in ähnlichen Ihnen hier mitgetheilten Fällen zuweilen öffentlich gedenken möchten, denn es ist schwer für einen jungen Mann in der jetzigen Zeit u. zumal noch entfernt von der Quelle der Musik, sich einigermaßen empor zu heben; ┌u. es wäre auch zum Besten des Instituts. ┐ Die „neue musikalische Zeitung“ möchte Herr Lippe gern hier verbreiten, wenn H. Buchhändler Robert Friese (den ich sehr gut kenne, u den Sie wenn ich bitten darf gefälligst von mir grüßen möchten) einmal mittheilen ließ, durch welche Musika-lienhandlung hiesiger Gegend vielleicht, u. unter welchen Bedingungen dieselbe zu beziehen wäre. –
Ich bitte nochmals um Entschuldigung wenn ich sollte lästig geworden seyn, u. |4| empfehle Ihrer ferneren Güte u. Gewogenheit <ganz> mich ganz
ergebenst
Eugen Petzold
Schloß Lenzburg d. 2. Mai 1840.

  Absender: Petzold, Karl Eugen (15375)
  Absendeort: Lenzburg
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
755-758

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 10 Nr. 1547
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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