Dresden am 18. Januar 1843.
Verehrtester Herr Doctor,
werthester Freund!
Zuerst lassen Sie mich meine herzliche Freude über die gestrige Zeitungs¬nachricht ausdrücken, welche Wunsch und Hoffnung eines Conservato¬riums für Sachsen so Vielen und auch mir endlich krönt. Es war nur billig und recht, daß man unter dessen erste Lehrer auch Sie aufnimmt, und ich gratulire Ihnen dazu mit so grösserer Freude, als Ihr Leben sich dadurch fest an meine liebe Vaterstadt kettet. Ueberdieß freut mich Sachsens Sieg über die hochherzigen Berliner hinsichtlich Meister Mendelssohns. Man¬che Dresdener sähen das Conservatorium lieber hier; es ist aber als Nach¬bar der Universität jedenfalls am richtigern Platze. Ihm wünsche ich das schönste, mit Prag und Bologna wetteifernde Gedeihen (denn Paris hat nach seinem gewaltigen Aufwande nicht Genügendes geleistet) und Ihnen – eventuell auch Ihrer Frau Gemahlin – ein stetes Wirken mit Lohn und Dank, mit Lust und Freude.
Eine der Beilagen enthält über Dresdens jüngste Musikfreuden si¬cherlich mehreres für Sie Brauchbares. Die andere kommt mehr wie eine verlorene Post mit; doch ist sie auch dieses mindestens nicht gänzlich, da Sie selbst und etwa auch Herr Becker – dem doch wohl der musik¬geschichtliche |2| Unterricht zufallen wird – wohl einen unserer langen Winter-Abende daran wenden können, ehe Sie mir das Scriptum gütigst remittiren. Vielleicht aber gefällt es Ihnen aber auch Ihren Lesern etwas davon zu gewähren. Brendels Versuch verdient, als der erste in Deutsch¬land, jedenfalls Aufmerksamkeit und öffentliche Besprechung. Und da man ihm das Lob eines ingeniösen Mannes nicht vorenthalten kann, so wird selbst seine, wenngleich affectirt-strenge Beurtheilung der heutigen Musik und Kritik interessiren, wenn man ihr auch nicht unbedingt bei¬stimmen kann. Für jetzt giebt er – soviel die Geschichte selbst betrifft – freilich nur Kiesewetter, Baini und Winterfeld in schönerem und hege¬lisch durchwebtem Gewande wieder; weil es aber zu erwarten steht, daß er – ein fleissiges und zum Guten williges Männchen – seine Hefte auch umarbeiten werde, so habe ich einzelne Puncte angedeutet, wo mir dieß ersprießlich erscheinen würde. Wie vielmal Brendel noch lesen wolle, ist mir unbekannt; jedenfalls aber langen 10mal, auf welche das Abonnement lautet, nicht. Denn rechnet man auf No. 6 die Bildung des Chorales und die grossen Venetianer des 16. Jahrhunderts, auf 7 Schütz und seine Zeit, auf 8 die grossen Neapolitaner, auf 9 Händel und seine Zeitgenossen, auf 10 Lotti und andere Venetianer: so bleiben uns immer noch die Ba¬chianer, die Italo-Deutschen, Gluck, Haydn und Dittersdorf, Mozart und Naumann, die |3| französische Oper, Beethoven, die Neu-Italiäner, Schubert und das heutige Deutschland, das vorn und hinten ausschla¬gende Frankreich nebst Meyerbeer übrig. So dürften fast 20 Vorlesungen nöthig werden. Jedenfalls bleibe ich aber ein treuer Hörer bis zu Ende. Für Instrumentalmusik hat Brendel das Hartungische Chor engagirt, für den Gesang fortan nur die Kreuzschüler; doch haben auch einige Kammer¬sänger, wie Schuster und Bielczizki, sich ihm erboten.
Für das Conservatorium würde nun wohl ein Compendium der Mu¬sikgeschichte nicht überflüssig erscheinen; haben wir vielleicht von Herrn Becker ein solches zu erwarten? mich würde dieß sehr interessiren. Denn ich bin und erstrebe einst noch
Ihr
stets musikalisch gestimmter
Freund und Diener
Albert Schiffner.
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