Vom 25sten August.
Gestern und vorgestern habe ich mich recht in mich eingewickelt, daß kaum die Flügelspitzen heraussahen – Hätte mich eine Hand berührt,husch! wäre ich in die Höhe aufgeschwirrt und auf und davon, damit mich nur Niemand störe in meinem Sein, Denken und Lieben. – Ich habe Steine hingeworfen und Diamanten zurückerhalten oder lieber, wie Deukalion, athmende Lebensgestalten, die die Zukunft zu sprechenden und höheren erziehen wird. –
Gerade was man verbergen will, ist die unbehülfliche Ecke, die Jeder sieht. Denn daß es eigentlich Ernestine war (obschon gegen ihren Willen), die den Schleier zwischen uns festhielt, wußt’ ich, daß Sie wußten – daß Sie ihn aber so zart abhoben und daß ich jetzt hinter ihm eine warme Freundeshand drücken kann, war mehr, als ich erwarten durfte, da überdies jede andere Hand in so stummer und scheinbar – zurückstoßender Nähe sich zurückgezogen hätte. Als ich daher Ihren Brief gelesen hatte, hab’ ich ihn ganz sacht eingeschloßen und nicht wieder gelesen, auch jetzt nicht, um den ersten Eindruck recht rein mitzunehmen für die künftige Zeit. Ach! sollte einmal eine kommen, die mir nichts gelaßen, als diese Zeilen, so will ich sie wieder vorsuchen und den Schatten dieser Hand fest und innig in meine drücken.
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Mittags.
Die vorigen Zeilen muß ein Mädchen geschrieben haben – – zu etwas Anderem. Der Aufsatz über Berger geht vorwärts: die Form, in die ich ihn gekleidet, ist kühn und wird mir Ihr Mißfallen zuziehen – ich plaudere aber nicht aus der Schule – machen Sie sich daher auf Arges gefaßt! – Sagten Sie mir nicht, daß die letzte Studie nach einer Stelle aus Dante’s Comoedie entstanden sei? Wie heißt die Stelle? Wißen Sie sonst noch etwas, was ich benutzen und einbauen könnte? Doch morgen, spätestens übermorgen komm’ ich selbst: halten Sie mich nicht für verstockt, wenn ich wieder nicht rede – Denn was Ihr Brief enthält, verträgt keine Antwort, als ein Auge – aber welches! –
Ludwig ist sehr, sehr krank. Der Arzt spricht nur noch von einem Winter – das sind ja treffliche Aussichten! Schenke mir der Himmel Kraft zum Verlieren! – Welchen Trost gäben Sie mir, wenn Sie Ernestinens Vater zu bewegen suchten, daß er ihr im späteren Winter auf einen Monat oder länger zurückzukommen erlaubte – Und Sie können das, Niemand so wie Sie. Was uns bevorstehen möge, so steht doch der Glaube fest in mir, wie nie zuvor, daß es noch herrliche Menschen giebt – und diesen Glauben will ich in dem Namen „Henriette“ zusammenfaßen.
R. S.
Ihrer Wohlgeboren
Madame Henriette Voigt
hier.
[BV-A: –]
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