23.01.2024

Briefe



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ID: 474
Geschrieben am: Donnerstag 30.04.1829
 

Schneeberg, am letzten April 29.
Mein guter Rosen!
Beynahe wären meine ganzen Heidelberger Luftschlösser zerronnen; mein Bruder Julius wurde kurz nach der Entbindung seiner Frau lebensgefährlich krank; meine Mutter beschwor mich, im Falle dß dieser sterben sollte sie nicht zu verlassen, weil sie sonst ganz einsam wäre pp. Jetzt ist die Krankheit wieder ganz gehoben u. ich kann Dir mit fröhlicher Zuversicht zurufen: heute über drei Wochen sitzen wir heiter zusammen u. trinken einen noblen Johannisberger.
Es wurde mir in der letzten Zeit furchtbar schwer, aus Leipzig zu gehn; eine schöne, heitre, fromme weibliche Seele hatte die meinige gefesselt; es hat Kämpfe gekostet, aber jetzt ist Alles vorbey, u. ich stehe stark mit der unterdrückten Thräne da u. schaue hoffend u. muthig in meine Heidelberger Blüthen u. Maiblumen. Das Erste, was ich in Heidelberg suche ist – eine Geliebte; sonst würdest Du manchmal schwer meinen Ernst besänftigen können.
Ich glaube nicht dß ich Dir schon geschrieben haben [sic] dß unser Freund Semmel nach seinem Examen (am 27sten d. May’es) mit nach Heidelberg fliegen wird; das soll ein Leben werden – zu <ueber> Michaelis geht’s in die Schweitz u. wer weiß wo Alles hin – möge das schöne Kleeblatt nie verwelken! Vorgestern disputirte Semmel u. heute Fürbringer; die Escarpin’s u das Chapeau bas müßten Beyden nicht schlecht stehen.
Vorgestern war sehr brillantes Concert in Zwickau, wo 800–1000 Menschen zusammen waren; natürlich ließ ich meine Finger auch hören. ich komme gar nicht aus den Lust- u Freudenfesten heraus. Am Freitag war bal parée bey Oberstens, am Sonnabend the dansant bey Dr. Hempel’s, am Sonntag Schulball, wo ich ungemein besoffen war, am Montag Quartett bey Carus (Matthai aus Lpzig), am Dienstag, Gewandhausconcert u brillantes Abendessen, am Mittwoch Dejeuner à la fourchette, zu Deutsch Gabelfrühstück wo ich mich in Champagner durchaus nicht schlecht machte, u heute Abend ist hier Valetball – u. diese ganzen Geschichten kosten mich keinen Heller andere schon vergessene verfressene u. vertrunkene Früh- u. Abend-stücke nicht zu erwähnen!
Den Tag meiner Ankunft in Heidelberg will ich Dir von Frankfurt aus bestimmen wo ich mich einige Tage aufzuhalten gedenke. Den 11ten May (Montag Abends) reis’ ich ganz bestimmt von Leipzig ab, viel Geld werd’ ich leider Gottes nicht mitbringen, weil ich in Leipzig sehr viel Brumm- u Eisbären loszubinden habe[;] vielleicht kannst Du mir in der ersten Zeit aushelfen wo nicht werden die Genie’s schon sich durchzubeißen wissen. Jedenfalls bin ich bis zum 18ten bey Dir.
Von Studenten- u. anderen Lumpenangelegenheiten will ich mündlich berichten u. treu, wie eine Geschichte. In Lpz. hat sich jüngst eine neue B constituirt, der kein einziger aus der alten beygetreten ist als einige Lumpludels.
Hier hat es heute den ganzen Tag geschneit; ich hoffe nicht, auf dem Schlitten nach Heidelberg fahren zu müssen; bey Dir ist bestimmt schon alles weiß u grün u. roth – es flimmert mir vor den Augen.
Lebe wohl mein geliebter Fr.; das Wiedersehen wiegt jede lange Trennung auf u. so möge es die unsrige auch! Blühe freundlich fort, wie der Frühling der mir entgegenlächelt u. Deine heitre[?] Seele kenne keinen als diesen u. niemals einen Winter!
Dein
Bruder Robert Schumann
Eilig!
Deine Augen dauern mich[;] ich konnte den Brief fast selber nicht mehr lesen.



  Absender: Schumann, Robert (1455)
  Absendeort: Schneeberg
  Empfänger: Rosen, Gisbert (1299)
  Empfangsort: Heidelberg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 26
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka, Thomas Synofzik, Eva Katharina Klein und Michael Beiche / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2024
ISBN: 978-3-86846-051-3
805-808

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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