23.01.2024

Briefe



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ID: 3972
Geschrieben am: Montag 29.01.1849
 

Sehr geehrter Herr Doctor!
Ihrer freundlichen Verzeihung schon im Voraus gewiß, erlaube ich mir, mich Ihrem Gedächtnisse nach einigen Jahren wieder aufzufrischen. Das Bewußtsein, als Schülerinn des Conservatoriums zu Leipzig Ihre Gunst in hohem Grade besessen zu haben, läßt mich diesen Schritt weniger unbescheiden erscheinen, und bestärkt in mir die Hoffnung, Ihre gütige Nachsicht zu erhalten. Seit ich von Leipzig abgegangen, habe ich mich stets der Kunst und besonders dem Gesange gewidmet, da sich seit einigen Jahren meine Stimme zu einer ziemlichen Stärke u bedeutendem Umfange ausgebildet. Mit leidenschaftlicher Liebe hänge ich dem Gesange ob, und haben sehr oft in Conzerten <schon> mit glücklichem Erfolg gesungen, Sie werden auch durch Hr. Stahlknecht erfahren haben, daß ich bei einer dreimaligen Aufführung Ihres schönen Werkes: „Das Paradies und die Peri“ jedesmal die Parthie der Peri übernommen hatte. Ich bin nun gesonnen aus meinem Privatleben herauszutreten, und mich ganz der Kunst zu widmen, zwar sind in jetziger Zeit die Aussichten dazu nicht gerade glänzend, doch sichert mir die feste|2| Anstellung meines Mannes eine unerläßige Stütze. Wollten Sie, geehrter Hr. Doctor und Ihre sehr geschätzte Fr. Gemahlin mir den Weg in die größere Oeffentlichkeit bahnen, so würden Sie mich zu noch größerem Danke verpflichten, als ich Ihnen schon schuldig bin. Sie haben diesen Winter in Dresden einen Cyclus Trio-Soireen veranstaltet. Könnte ich vielleicht so glücklich sein, in einer derselben ohne durch meine Frage arrogant zu erscheinen, einige Lieder zu singen? Ich habe bis jetzt immer bei meinem Auftreten Lieder von Ihnen mit viel Glück gesungen, und ich kann mir wohl das geringe Verdienst anrechnen, das hiesige Publikum zuerst mit Ihren schönen Lieder bekannt ge]macht, und demselben größeren Geschmack an classischen Liedern abgewonnen zu haben. Ich würde mich mit der größten Bereitwilligkeit einer strengen Prüfung meiner Leistungen unterziehen, und fänden Sie sie, geehrter Herr Doctor, nicht ausreichend, sofort von meiner Bitte abstehen. Wahrscheinlich werde ich diesen Winter in einem der letzten Gewandhausconzerte singen, das Directorium hat mir große Hoffnung dazu gemacht. Von vielen Seiten den wahren Verehrern der Kunst in hiesiger Stadt aufgefordert, die Bitte an Sie u Ihre Fr. Gemahlin zu richten: in Chemnitz ein Conzert zu|3| geben, erlaube ich mir die Frage: ob Sie geneigt sein würden, diesem Gesuch ein freundliches Ohr zu schenken? Ich und mein Mann, der sehr musikalisch auch ist, würden für das ganze Arrangement sorgen, u. Alles Betreffende dazu gern übernehmen, so daß Sie uns blos Ihre freundliche Einwilligung und vielleicht die näheren Bestimmungen darüber mitzutheilen hätten. Könnte ich Sie in demselben mit einigen Gesangsvorträgen unterstützen, würde es mir zu großen Ehre gereichen, und es würden Ihnen gleich dadurch Gelegenheit geboten, meine Leistungen kennen zu lernen. Das schöne Spiel Ihrer Frau Gemahlin steht noch aus früherer Zeit in so gutem Andenken hier, daß die ganzen Musikfreunde Sie mit der größten Freude empfangen würden, u. ich spreche im Namen Aller nochmals den Wunsch aus: Unserer Bitte die Erfüllung in nächster Zeit zu Theil werden zu lassen. – Indem ich nun zuversichtlich in einer Antwort von Ihnen das Resultat meiner Bitte erwarte, <ich> zeichne ich mich unter den herzlichsten Grüßen an Sie u. Ihre Fr. Gemahlin von mir u. meinem Manne mit der größten Hochachtung u. Ergebenheit

Ihre
dankbare Schülerin
Rosalie Tittel, geb. Schulze.

Chemnitz,
29. Januar, 1849.

  Absender: Tittel, Rosalie, geb. Schulze (1590)
  Absendeort: Chemnitz
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
842ff.

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 20 Nr. 3578
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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