Leipzig. d. 19 Mai 1849.
Geehrter Herr Doctor!
Ich kann es nicht über’s Herz bringen, Leipzig zu verlassen ohne Ihnen noch einen Abschiedsgruß aus der Ferne zu senden, denn leider wird es mir ja durch die letzten beklagenswerthen Ereignisse zu meinem größten Bedauern unmöglich gemacht persönlichen Abschied von Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu nehmen. Es scheint, daß mich ein eigener Unglücksstern verfolgt, wenn ich beabsichtige, längere Zeit in Dresden zu verweilen, und gerade diesmal hatte ich so sehr auf einen längeren Aufenthalt in Dresden gefreut, weil ich hoffte manche musikalische Stunde bei Ihnen zu verleben. Raymund Härtel verließ mit mir zugleich die Stadt am Freitag vor vierzehn Tagen. Wasielewski wird Ihnen das Nähere über unsere Flucht zu erzählen wissen und wird hoffentlich die Nachricht zurückbringen, daß Ihnen nichts Unangenehmes während der Unglückstage geschehen ist. – Daß ich am Donnerstag<e> Vormittage nicht versprochnermaßen zu Ihnen kam, war die Folge davon, daß mir selber der Vormittag durch verschiedene Besuche geraubt wurde, welches mich unendlich verdroß. – Die Transcriptionen habe ich Kistner’n jetzt überliefert und werden sie gewiß demnächst in Druck gegeben; ich habe es Herrn Senff eingeschärft, daß Ihnen eine Revision zugesandt werde. Am Montage werde ich nach Bremen abreisen und, wenn ich mich dort erst ein wenig eingewöhnt habe, werde ich mir erlauben, Ihnen ein wenig von mir und meinem dortigen Leben mitzutheilen.
Mit den schönsten Grüßen an Ihre Frau Gemahlin und mit der Versicherung meiner aufrichtigsten Ergebenheit bleibe ich
ganz der Ihre
Carl Reinecke
Herrn
Herrn Dr Robert Schumann
in
Dresden.
D. G.
[BV-E, Nr. 3648:] C. Reinecke. [beantwortet:] + [Versand:] d. G.
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