Verehrter Herr!
Meinem vor wenigen Stunden der Post übergebenen Briefe an Sie muß ich allsogleich einen zweiten folgen laßen, um Sie über einen Umstand aufzuklären, welcher Ihnen sonst befremdlich erscheinen müßte. In dem Drange meiner Herzensfreude über die, eine so herrliche Perspektive eröffnende, erneute Annäherung zweier so außerordentlicher Künstler, wie Sie und Dr Hebbel konnte ich mich nicht enthalten, so überflüßig dieß an sich war, in einem Postscriptum der Übersendung von Hebbel’s „Michel Angelo“ und „Agnes Bernauer“ zu erwähnen. Nun vermißen Sie die leztere! Aber Hebbel’n kam plözlich ein eigenthümlicher, aber wie ich glaube, nicht ganz unmotivirter künstlerischer Skrupel. Er meinte, bei der zu schnellen Aufeinanderfolge zweier Produkzionen, störe gewöhnlich die Eine die Wirkung der Andern, weßhalb er die Agnes lieber erst in einem Weilchen nachfolgen laßen will. Da aber nicht leicht Jemand ein solcher Feind des „aus der Schule Schwäzen“ ist, wie er, so habe ich’s ihm nicht verrathen wollen, um ihn nicht unnöthig in Ärger zu versezen und bitte Sie daher, verehrter Herr, deßen auch gegen ihn in keiner |2| Weise zu erwähnen. Ich bin überzeugt, daß der Michel Angelo, diese eben so reizende als bedeutsame Dichtung, auch Sie entzüken wird. Freilich muß die überherrliche „Agnes“ noch höher gestellt werden, aber dieß bedingt ja – caeteris paribus – schon der höhere Kreis, in welchem sie steht. Der -dramatische Dichter Hebbel ist in diesem Winter unthätig geblieben, wenn ich nicht einige, theilweise <N> nicht unwesentliche Neugestaltungen einzelner Dramen für die in zwar noch unbestimmter Frist bevorstehende Gesammtausgabe seiner Werke in Anschlag bringe; nicht aber der Dichter überhaupt. Zwar hat er nur zwei, aber wunderschöne „Balladen“ geschrieben, indeßen mag ihn im Stillen wol auch oft genug seine große Tragödie „Moloch“ beschäftigen, welche ja seit Jahren in Aussicht gestellt ist und deren zwei bereits vollendete Akte das Außerordentlichste erwarten laßen. Zudem können ja in dem Dichter κατ’ εξοχην, deßen Kunst so unendlich konzentriert ist, die Quellen nicht immer so reichlich strömen. Jene beiden Balladen sind in jedem Falle der musikalischen Kunst unzugänglich, dagegen theilte mir Dr Hebbel neulich ein in sehr früher Jugend verfaßtes, von ihm aus eigenthümlichen Gründen nicht in die Sammlung aufgenommenes Gedicht mit, welches, wie nur irgendeines, für sie [sic] geschaffen ist. Villeicht kann ich es Ihnen demnächst kommuni-|3|ziren und villeicht regt es Sie ja wirklich zu einer Produkzion an. Um diesen Preis würde ich gerne darauf verzichten, meine eigenen schwachen Kräfte, wie ich wol gerne möchte, daran zu versuchen. Auf Ihre Ballade „Schön Hedwig“ sind wir auch schon außerordentlich gespannt. Den Eichendorf’schen „Schazgräber“, welchen ich auch in diesen Tagen kennen lernte, möchte ich mit zu Ihren höchsten Liederkomposizionen rechnen, aber wie reizend ist auch – doch welche Thorheit, sich bei Einzelnem aufzuhalten. Auch Ihre „musikalischen Haus u. L. regeln“ lernte ich unlängst kennen, von denen sich schon Mancher Mann Manches hinter die Ohren schreiben kann, – villeicht auch meine Wenigkeit selbst. Doch hoffe ich in der That, daß Sie mit meinen neuen Versuchen schon werden wenigstens etwas mehr zufrieden seyn können.
Wie ich in der „Illustrirten Zeitung“ las, so werden Sie ja demnächst nach Dresden reisen, wo Ihr Manfred zur Aufführung kömmt! Möge die Aufführung Ihren Wünschen, die Aufname jener Forderung entsprechen, welche Sie an die Welt zu stellen in so unbegrenztem Maaße berechtigt sind. Das kleine, selbstsüchtige Individuum fügt aber zugleich den Wunsch bei: möchten Sie diese beiden Schreiben noch in Düsseldorf antreffen, damit Ihnen wenigstens äußerlich die Erfüllung meiner sehr angelegentlichen Bitte ermöglicht werde, |4| welche Sie mir dann gewiß, wenn sie nur sonst möglich ist, <gewiß> nicht, schon um Hebbel’s willen, abschlagen werden? – Dieser sprach erst heute wieder, wie sehr oft, mit außerordentlicher Theilname davon, wie höchst wünschenswert es wäre und welcher Gewinn für die Kunst, wenn Sie, verehrter Herr, hierher übersiedeln würden. Er bedient sich dabei gerne des Ausdrukes: dann wären doch alle Künste hier auf eine höchst würdige Weise vertreten, wobei er namentlich auch den der bildenden Kunst angehörigen Maler Rahl im Auge hat. Wir unsererseits aber werden ihm den ersten Rang in seiner Kunst gewiß nicht streitig machen. Daß aber jenes bei dem Unverstande und der Rohheit der Welt hauptsächlich nur auf praktische Weise vermittelt werden kann, muß ich wol leider selbst eingestehen und doch muß man sich fast schämen des Geständnißes, daß es hierzu noch irgend anderer Mittel bedürfe, als <es> der Allgewalt Ihrer Werke und der Macht Ihres Namens. Daß aber wir, wo sich uns irgend Gelegenheit bietet, in Ihrem Intereße, welches ja zugleich das der Kunst ist, wirksam zu seyn, deßen können Sie wol versichert seyn. –
Und somit mich nochmals Ihnen, verehrter Herr, und Ihrer Frau Gemalin auf’s Wärmste empfehlend zeichne ich mich nochmals als Ihren Ihnen mit unbegrenzter Verehrung
ergebenen
C Debrois pp
Wien, 10. März 1853.