23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26896
Geschrieben am: Donnerstag 26.04.1888
 

Frankfurt a/m. 26/4.
Liebste Emilie!
Seit ich von England zurück bin, dachte ich täglich daran, Dir zu schreiben, vor Allem Dich an Dein Versprechen zu erinnern, daß Du uns dieses Frühjahr besuchen wolltest. Ich kam aber immer nicht dazu vor so vielem zu erledigenden, dann wollte ich Dir aber auch den <„>Wagner-Liszt zurückschicken, mußte ihn aber vom Buchbinder etwas anständig wieder herrichten lassen. Heute erhielt ich das Buch zurück und zugleich Deinen Brief. Für erst will ich Dir nun gleich mittheilen, |2| daß ich nichts Anderes weiß, als direct an Joachim zu schreiben und zwar finde ich am besten, wenn dies der Vater oder die Mutter von dem jungen Mädchen thut. Meine Meinung ist die, daß sie, da sie nur kurz in Berlin bleiben kann, Privatstunden zu bekommen sucht. Ob überhaupt nur für ein halbes Jahr in der Hochschule aufgenommen wird, weiß ich nicht; an unserer Schule geschieht es nicht. Die Adresse an Joachim ist:
Friedrich Wilhelmstraße 5. I St. Berlin.
Von mir kann ich Dir sagen, daß ich sehr erfrischt von England zurückgekehrt bin; die Aufnahme war enthusiastischer als je! – Ich wünsche mir dort immer, daß meine deutschen Freunde so einen Empfang mal miterlebten! Hier bin ich nun freilich wieder ordent-|3|lich in das alte Geleise gekommen, das ist aber ganz gut und befriedigt mich auch, wie Du weißt, sehr; ich meine die Thätigkeit an der Schule. Weniger angenehm ist es, wenn nach solcher Zeit der Erhebung die häuslichen Miseren und Familiensorgen wieder an Einen herantreten. Die letzteren namentlich hören bei mir nie auf.
Ferdinand ist nun morphiumfrei, nun gehen aber die Kuren für seine Krankheit an, und ich fürchte, an eine völlige Genesung ist so bald noch nicht zu denken. Seinen beiden Knaben in Schneeberg geht es sehr gut, jetzt kommt auch der dritte dorthin u. Julie hat Marie vor 14 Tagen nach Berlin ins Louisenstift gebracht, wo ich für den Ferdinand bei unserer |4| jetzigen Kaiserin eine Freistelle erwirkt hatte. Ich hatte Dir wohl davon erzählt, daß ich darum gebeten, aber nicht von dem glücklichen Resultat, das schneller eintraf als wir es erwartet hatten. Der Abschied wurde uns schließlich doch sehr schwer, ich hoffe aber, ich habe das Richtige für sie getroffen.
Die armen Herzogenbergs sind aber merkwürdig ideale Menschen, die es beinahe verstehen dem Unglück noch schöne Seiten abzugewinnen, das wäre ja sehr beneidenswerth, wenn seine Zukunft nicht so erschiene als müßte ihnen die bitterste Täuschung werden. Sie glauben an Genesung nach dieser schrecklichen Operation, wo man ihm fast das ganze Knie, die halbe Kniescheibe herausgeschnitten hat, auf alle Fälle also er doch ein Krüppel bleibt, denn das Bein bleibt steif u. es wird mit dem Gehen entsetzlich werden, u. der Mann wird Einem jetzt als Greis erscheinen. Ich denke mit Entsetzen daran; was die armen Menschen ausgehalten haben u. noch aushalten, ist gar nicht zu sagen; nun sind Fiedlers fort |5| und Levi auch, und wie lang sind die Tage auf dem Schmerzenslager! Bei alledem daß er nun seit 5 Monaten auf dem Rücken liegt hat er ihr neulich zum Geburtstag doch heimlich eine Gigue componirt; es ist rührend. Natürlich können sie nicht daran denken München zu verlassen, als im glücklichsten Falle, im Juli. Ich freue mich herzlich für sie, wenn Du sie manchmal besuchst – schade, daß ihr euch nicht etwas mehr kennt!
Nun dachte ich, ich hätte Dir alles erzählt und doch sagte ich Dir noch nichts von Elise, wo es gar nicht gut geht; sie selbst und die Ihrigen sind wohl gesund aber in seiner Familie ist viel Trauriges passirt, das Schwerste, daß Louis Bruder seine Frau, eine geb. Knoop aus Bremen im Wochenbett verloren hat, sie lebten in New York u. er verlor den Kopf so, daß |6| er sein Haus sofort verkaufte, sein Geschäft aufgab (obgleich er noch ein junger Mann ist) und dieser Tage mit seinen 4 Kindern und der Leiche in Bremen ankam. Morgen kommt die ganze Familie zu Elise, wo sie vor der Hand bleiben, denn nun hat er ja gar keine Heimath. Unter seinen Kindern ist ein Mädchen im selben Alter wie das, was Elise verloren, und das ist ihr das Schwerste! Ich finde die Zumuthung fürchterlich so bald nach dem Verluste. Aber der Egoismus der Männer kennt keine Grenzen. Vor ein paar Tagen war Elise auch in Zürich, um an dem Todestage der Kleinen einen Denkstein setzen zu lassen und den Tag dort zu verbringen. Nebst diesem hat der Mann von Louis Schwester einen schweren Beinbruch gethan. – Ich will aber schließen, das Leid hat kein Ende!
Wie steht es nun, liebste Mila, um mal wieder von Freuden zu sprechen, wann kommst Du? Von Anfang May an steht unser Fremdenzimmerchen zu Deiner Verfügung, es ist freilich ein kleineres jetzt als früher, da wir eine häusliche Änderung machen mußten. Ich sehe also Deiner Antwort hoffend entgegen, grüße alle Deine Lieben auch von meinen Töchtern u. sei umarmt in aller Liebe
von
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
753-757

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 170a/b/c
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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