23.01.2024

Briefe



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ID: 26794
Geschrieben am: Freitag 23.10.1874
 

Berlin d. 23ten Oct. 74.
Meine liebe Emilie!
Du wirst mir nicht glauben, wenn ich Dir sage, daß seit langer Zeit kein Tag vergangen, wo ich nicht daran dachte Dir zu schreiben; Du weißt aber, wie viel ich immer zu schreiben habe, u. jetzt, wo ich Alles dicitiren muß, ist es doppelt schwer für mich, allen Anforderungen von außen u. innen zu genügen. Deinen lieben Geburtstagsbrief fand ich erst Ende September aus der Schweiz zurückkehrend, in Baden; dort verbrachten wir, den Rest unserer Sachen zusammenpackend, (nebenbei gesagt an die 60 Kisten) 14 Tage des furchtbaren trouble. ┌ verkauft habe ich das Haus noch nicht. ┐ dann gingen wir nach Düsseldorf um die arme Leser u. Junge zu |2| sehen, Letztere seit mehreren Monaten schon schwer krank u. von den Aerzten aufgegeben. Meine Kinder reisten nach einigen Tagen hierher um Alles wieder auszupacken, ich blieb noch, brachte aber natürlich so viele Zeit wie möglich bei den beiden Armen zu, war überhaupt mit dem Dictiren angewiesen auf hie u. da eine mitleidige Seele, reiste inzwischen auch einmal nach Wiesbaden um die Genoveva dort zu hören u. bin nun seit einigen Tagen wieder hier, räumend von früh bis Abend. Da kommt mir gestern Dein Brief von Baden nachgesandt u. sammelt feurige Kohlen auf mein Haupt. Ich weiß aber doch, Du verzeihst mir. Ueber mein Leiden kann ich Dir lei-|3|der nichts Besseres sagen; es hat sich eher verschlimmert, u. ich kann nicht daran denken diesen Winter zu spielen. Ich brauche Dir wohl kaum zu sagen, welch harte Prüfung dies für mich ist, und, lebte mir nicht etwas Hoffnung im Herzen zur Besserung, so wüßte ich nicht, wie ich es trüge. Hoffnung habe ich aber, weil ich glaube, daß das Blut mit im Spiele dabei ist, u. möglicherweise, wenn die Natur geordnet, auch das Leiden schwinden kann. Ich treibe seit einigen Wochen leichte Heilgymnastik, kann aber erst nach längerer Zeit über die Wirkung urtheilen, wie man mir sagt.
Unser Sommer war vielfach bewegt; erst Teplitz, dann einen |4| Monat Baden, dann fünf Wochen Engelberg, danach eine Woche am Genfer See u. Rückkehr nach Baden. In Vevey trafen wir mit Marmorito zusammen, zum ersten Male, daß wir ihn wiedersahen, u. fanden ihn noch tief traurig, wie ich es erwartete u. vollkommen begreife. Leider war es zu weit, um daß er die Kinder mitbringen konnte.
Herzlich froh war ich, von Dir zu hören, daß Elisen Karlsbad gut bekommen u. es der lieben Hedwig wieder besser geht, sehr leid aber thut mir Eure Sorge um Gretchen; so frühreife Kinder sind immer Sorgenkinder, – u. ist es immer ein besonderes Glück, wenn man sie erhält; möchte der Himmel Euch diese Gunst schenken!
Mein Felix ist wieder in Montreux. |5| Es ging ihm wohl etwas besser, jedoch muß er den Winter wieder in Montreux aushalten, was ihm schwer genug ankömmt.
Ferdinand hat ein Töchterchen bekommen; die Frau ist aber sehr zart u. so junge Eheleute wissen garnichts von Vorsicht, was uns besorgt macht.
Wie Vieles hätte ich Dir nun noch erzählen – da fällt mir ein, Du weißt wohl noch nicht, daß Elise mit ihrer Freundin den ganzen Winter nach New-York gegangen ist; da sich diese Reise unter so angenehmen Verhältnissen bot, so konnte ich ihr nur zureden. Das Schiff ist glücklich angelangt. Von ihr selbst erwarten wir jetzt jeden Tag Nachricht.
Daß Ihr in Karlsbad Seegen nicht gefunden, wird Euch sehr |6| leid gethan haben, – zu meiner Freude hatte ich vor einigen Tagen Brief von Frau Seegen, worin sie mir mittheilt, daß ihr Mann wieder ganz hergestellt sei.
Hast Du nicht Lust Dir einmal Berlin anzusehen? Ich könnte Dir ein zwar sehr kleines, aber doch besseres Fremdenstübchen anbieten, als in Baden, u. brauche Dir wohl nicht zu sagen, welche Freude Du mir mit Deinem Besuche machen würdest, u. ich würde Dir hier in Ruhe u. aller Behaglichkeit mehr Zeit widmen können, als es je in Baden der Fall war, wo Du mich immer in häuslichem trouble u. den Vorbereitungen für den Winter gefunden.
Ich hoffe, ich höre nun bald von Dir Ausführlicheres über Euch. Habt |7| Ihr Levi in letzter Zeit nicht gesprochen? Ich traf neulich mit ihm in Freiburg zusammen.
Die Aufführung der Genoveva neulich in Wiesbaden hat mir große Freude gemacht, – denke Dir, sie wurde zum 13ten Male bei ausverkauftem Hause gegeben.
Frau Joachim ist nach ihrer Karlsbader Cur ganz mager geworden, was ihr sehr gut steht. Du hast wohl schon gehört, daß sie sich für den Sommer in Salzburg ein kleines Haus gekauft haben.
Doch nun will ich schließen; meine Kinder senden ihre herzlichen Grüße mit mir an Euch Alle.
In treuer Umarmung
Deine
alte
Clara.
In den Zelten 11.
Bitte sende mir gelegentlich das Verzeichniß.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
575-579

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 151a/b/c/d;
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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