23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26783
Geschrieben am: Mittwoch 12.06.1872
 

Baden d. 12 Juni 1872.
Meine theuere Mila,
heute Morgen kam Dein 2ter Brief, und nun brennt mir meine Schuld an Dich doppelt auf der Seele. Seit ich hier bin ist schon wieder so Vieles an mich herangetreten, daß ich, was ich am liebsten gethan hätte, bis auf ruhigere Zeit verschieben mußte, die nun für 3 Wochen, hoffe ich, eingetreten ist, nachdem wir vorgestern von Carlsruhe zurückgekehrt wo noch ein schönes Concert stattfand, zur Abschiedsfeyer für Levi. Ich erzähle Dir nachher davon, jetzt muß ich Dir doch vor allem sagen, |2| wie sehr bestürzt ich war über Deine Nachrichten von so vieler Krankheit! Gott sey Dank, daß Alles glücklich vorüber gegangen. Welche Angst mögt Ihr um das Kind Hedi’s ausgestanden haben! wie wunderbar die Rettung! nun wird es sich auch schnell erholen, und Ihr werdet das Kind blühend wiedersehen! Aber welch schreckliche Regenzeit habt Ihr jetzt! wie feucht muß es da in Carlsbad sein! zum Glück trocknet es schnell auf den schönen Wegen im Walde! ich habe immer im Frühjahr Sehnsucht nach Carlsbad, aber meine Leiden sind anderer Art, wohl auch Leber aber nicht hauptsächlich. Wenn Dir Segen sagte, ich sey sehr wohl, so war das ein Irrthum, der wohl daraus entsprang, daß, da er in London |3| seiner eignen Gesundheit halber war, ich es unbescheiden gefunden hätte, ihn zu consultieren, so gern ich das auch gethan hätte, denn ich habe ihn besonders gern als Arzt. Nein, beste Mila, ich bin im Gegentheil recht leidend, es hat aber wohl seine natürlichen Gründe, und das läßt mich hoffen, daß ich doch vielleicht glücklich über die einigen schlimmen Jahre hinweg komme, und dann wieder wohler werde. Was mich vor allem recht verstimmt, ist ein Rheumatismus (ich glaube, daß es Dieser ist) im Fuße, der mich nun schon 11 Monate am Gehen hindert. Ich kann kaum eine halbe Stunde gehen, dann sind die Schmerzen sehr arg, und zwar weil sie in der Ferse (oder Hacke) sind, schmerzt jeder Tritt. Ich habe schon viel versucht, es hilft aber Alles nicht. Die schönen Spatziergänge, die |4| man hier machen kann, und die zu meinen größten Freuden gehörten, muß ich jetzt unterlassen, was noch obendrein für meine Körperbeschaffenheit sehr nachtheilig, denn Bewegung war mir stets Bedürfniß.
Wir haben, seit wir hier sind, große Dienstleutenoth, die uns sehr verstimmt, da namentlich Marie sehr darunter leidet; sie hat große Anstrengungen dadurch, und erträgt solche nicht wie früher. Ich suche jetzt doch nach einer Wirthschafterin, die aber selbst kocht, und im Winter im Hause bleibt. Ich möchte es Euch auch gesagt haben, wenn Euch ein Wesen der Art ’mal vorkäme, etwa im Würtembergischen. Sie soll etwas gebildeter sein als gewöhnliche Dienstmädchen, aber doch anspruchslos, was jetzt noch schwerer zu finden, als früher.
|5| Ueber Euere Resultate mit der Verloosung freue ich mich sehr – Ihr solltet das eiserne Kreuz dafür haben! Man denkt sich das Bitten für derartige Zwecke immer leicht; kommt man aber daran, so wird es Einem gewaltig schwer.
Es wird Dich freuen zu hören daß wir nun doch hoffen dürfen Julie mit Mann und Kindern hier zu sehen. Leider ist sie wieder in Umständen – es geht gar zu schnell für ihren zarten Körper, doch, da muß man sich eben fügen. Unter uns gesagt, ich fürchte sehr für Julie, und mache mich ganz und gar gefaßt sie ’mal zu verlieren; es geht ihr doch immer eigentlich schlecht, und bei den schnellen Wochenbetten kann sie sich ja gar nicht erholen. Das macht mich oft tief traurig. Ich sage es meinen Kindern nicht, |6| warum soll ich sie mit trüben Gedanken beunruhigen. Ich will dieser Tage ’mal an Moleschott schreiben, und ihn bitten Marmorito doch zur Schonung Julchens zu mahnen. Es ist solch ein delicater Punct, doch einer Mutter ist Alles erlaubt für das Wohl der Kinder.
Eugenie ist uns viel wohler zurückgekehrt, aber vorsichtig müssen wir mit ihr auch sein. Sie leidet sehr an Verschleimung in Folge von Scropheln, und auch Felix, da will ich denn Beide nach Kreuznach Anfang August schicken. Was mit mir wird, weiß ich noch nicht! ich möchte sparen, und die Schweiz aufgeben, wäre nur nicht hohe Bergluft meinen Nerven so sehr nöthig! – Ach, liebste Emilie, daß wir doch nie ’mal zusammen irgend wo sein können! wie traurig! Daß Du meinst, es |7| bedürfe des Levi, um mich nach München zu ziehen, könnte ich Dir eigentlich recht übelnehmen. Du weißt im Winter ist meine Zeit mein Kapital, ich kann also nicht reisen um eine Freundin zu besuchen, ergreife aber jede Gelegenheit da zu concertieren, wo mir liebe Freunde wohnen. Von München erhalte ich aber nie Aufforderungen, kann also nicht hinreisen. Im Sommer ist mir die Zeit nach siebenmonatlicher Abwesenheit, und einmonatlicher Erholungsreise in die Schweiz, <karg> im eignen „zu Hause“ gar karg zugemessen, und scheint es mir doch viel leichter daß Du mich ’mal auf einige Wochen besuchtest. Ich könnte es nicht ’mal einrichten Julie zu besuchen, wonach doch gewiß mein Herz verlangt. Das Fahren greift aber ┌noch dazu┐ meinen Rücken so an, |8| daß ich im Sommer so wenig als möglich fahre. Daß sich nun aber ’mal etwas in München arrangirt, ist immer möglich, da Levi gewiß dazu thuen wird, was er kann. – Das Abschiedsconcert war herrlich. Er wurde erst enorm empfangen, überschüttet mit Blumen, dann vom Orchester-Vorstand eine Rede gehalten und ihm ein silberner Lorbeerkranz als Andenken vom Orchester überreicht. Hierauf begann das Concert, Symphonie v. Beeth, Concert meines Mannes, (Ich), Arie von Händel, Stockh. der prächtig disponirt war, dann von uns Beiden Soli’s, endlich ein neues wunderbares, großartiges Werk „Triumphlied“ von Brahms, das Levi schön einstudiert hatte, und <Brahms> vom Publikum wenn auch nicht verstanden, was bei so tiefer und wunderbar kunstvoller Schöpfung unmöglich, so doch sehr auszeichnend aufgenommen wurde; er wurde |9| gerufen, und zwar, da er im 2ten Rang saß und schwer auf die Bühne gelangen konnte, wohl an die 10 Minuten lang – Niemand ging, obgleich es der Schluß war. –
Für Carlsruhe ist Levis Fortgang ein großer Verlust, und selbst die Großherzogin, die mich rufen ließ in’s Schloß, sagte mir, wie sehr sie es bedauere. Er gehört in seinem Fache zu den Tüchtigsten Musikern, die ich kenne. Natürlich werde ich ihn bitten Euch zu besuchen; er ist überall beliebt, obgleich sein Aeußeres den jüdischen Typus so sehr auffallend zeigt. Er ist aber eine durch und durch noble Natur, und ein Freund wenn’s gilt, Einer zu sein. Für uns speziell ist sein Fortgehen auch ein Verlust – er kam zwar selten herüber, dann aber verlebten |10| wir künstlerisch wie gesellig anregende Stunden mit ihm.
Sey so gut mich Segens auf das freundlichste zu empfehlen. Ich denke, ich sehe sie im Winter in Wien, wohin ich, wills Gott, Mitte Nov. zu gehen hoffe.
Höre ich ’mal wieder von Euch? wie der lieben Elise die Cur bekömmt? <später> grüße sie auf das innigste auch Hedi schönstens, und ich lasse ihr Glück wünschen zur Erhaltung ihres Kindes, auch sehr danke für Eugenies Beherbergung im Herbst.
Schließlich bitte ich Dich noch, setze die Idee, mich zu besuchen, nicht ganz bei Seite! welche Freude wäre mir Dein Besuch! ich brauchte Dir das eigentlich nicht zu versichern.
Leb wohl und gedenke Deiner alten treuen
Clara.
Sollte Anna Regan noch nach Carlsbad kommen, ehe Ihr abreist, so sucht sie doch auf, in meinem Namen bittet sie Euch vorzusingen.
Ueber Wagner-Bülow schrieb ich Dir nichts, ohne das aber kennst Du meine Gesinnung gut genug, um Alles zu wissen, ┌was ich darüber denke┐. Ich beklage, daß ich dies ganze Getreibe erleben muß! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: Karlsbad
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
531-536

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 138a/b/c/d/e
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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