23.01.2024

Briefe



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ID: 26740
Geschrieben am: Donnerstag 03.10.1861
 

Berlin d. 3. Oktober 1861.
Hochverehrte theure Frau von Pacher,
Gestern Abend nun bin ich glücklich hier angekommen, und traf Mama und die Geschwister ganz wohl an, doch es treibt mich, Ihnen mein Herz auszuschütten, Ihnen zu danken für die unendliche Güte und Freundschaft, die Sie mir während meines Zusammensein’s mit Ihnen erwiesen; hätte ich sie nur durch irgend etwas verdient, und könnte ich sie Ihnen vergelten. Worte können meinen Dank nicht ausdrücken, und Thaten weiß ich nicht zu vollbringen; das Jahr in Ihrer Nähe wird mir stets eines der schönsten meines Lebens seyn, war es auch mit vielem Traurigen verbunden; |2| Wenn ich oft nicht so war, wie ich hätte sein sollen, so müssen Sie nicht etwa denken, ich hätte nicht erkannt –, was Sie mir thaten. Aber Sie wissen, wie ich meine theure Mutter liebe, und werden mir deshalb nicht zürnen, wenn ich manchmal nicht so ganz glücklich war, und mich die Sehnsucht nach Ihr überwältigte; Ach, und gerade so geht es mir jetzt; Ich bin so glücklich daß ich bei Mama bin, aber doch im innersten Herzen so traurig, daß ich Sie nicht bei mir habe; Wie viel gäbe ich, wenn ich das mir so theure Gesicht nur noch einmal jetzt erblicken würde; Ich hoffe jedoch ganz fest, daß es nicht so lange dauern wird, und werde Mama, wenn es nicht ganz unmöglich ist, so lange bitten, bis sie nach München kommt.
In Dresden blieb ich anstatt bis Dienstag |3| früh, bis Mittwoch Nachmittag; Ich fand nämlich dort einen Brief von Mama, in welchem sie es so bestimmte, weil sie und Marie erst am Dienstag Abend nach Berlin kamen, und ich sonst ganz allein mit den beiden Kleinen gewesen wäre. Mama möchte Ihnen gerne mitschreiben, doch können Sie Sich gar nicht vorstellen in welchem Troubel wir hier sind; die neue Wohnung noch nicht fertig eingerichtet, dreizehn Koffer auszupacken, die ganze Wintergarderobe zu besorgen, und das Alles muß Mama thun; natürlich sind wir den ganzen Tag mit Aufräumen und Packen beschäftigt, und Mama findet keinen Augenblick um sich ein wenig auszuruhen. Sie läßt Sie tausendmal grüßen, und wird Ihnen sobald als möglich schreiben.
Über Mama’s Pläne für den Winter habe |4| ich noch gar nichts bestimmtes erfahren; Acht bis vierzehn Tage bleiben wir nun fürs Erste wohl hier, da wir doch Marie unmöglich in solcher Unordnung verlassen können.
Meine Reise nach Dresden ging sehr gut von Statten; Ich hatte zwar nicht sehr freundliche, aber doch ganz gute Gesellschaft, und hatte während der Nacht mit zwei Damen ein Coupé ganz allein, habe aber nicht viel geschlafen. Fritz und Herrn Körnig habe ich mit meinen Gedanken während ihrer ganzen Reise gefolgt, und rechnete mir immer die Stunden aus, wenn sie wohl in Linz und Salzburg und München sein könnten. Den ganzen Dienstag aber war ich im Geiste mit Ihnen, und habe sie in Gedanken auf ihrer ganzen Tour begleitet. Mittwoch um 11 Uhr dachte ich mir, wie werden sie sich jetzt Alle freuen, wenn sie die lieben |5| Thürme und Kirchen von München erblicken. Wie schön wäre es für mich gewesen hätte ich noch den Montag in Schönau verbringen können, hatte ich’s nur geahnt daß ich in Dresden noch zwei Tage bleiben müßte. Großpapa habe ich fast gar nicht verändert gefunden; er ist immer noch der Alte, wie Sie ihn ja auch kennen, nur was das Musizieren anbetrifft, so hatte ich ganz |6| richtig vermuthet; Gleich am Nachmittag hieß es Singen und Spielen. Ich glaube, Großpapa hätte mich am Liebsten gleich dabehalten, um schnell eine große Sängerin aus mir zu machen, was mir nicht so ganz angenehm gewesen wäre. <>
Die Kiste ist heute ganz wohlbehalten angekommen, und danke ich Fräulein Emilie vielmals, für diese große Mühe, welch sie damit gehabt hat. Bitte sagen |7| Sie Ihr und Ihrer verehrten Mutter viele Empfehlungen. Allen Anderen tausend Grüße und Hedi und Cilla einen recht innigen Kuß. Letztere ist hoffentlich ganz hergestellt; An Hedi werde ich, so bald ich ein wenig mehr Ruhe habe, ausführlich schreiben, hoffe aber schon eher von ihr einen Brief zu bekommen. Nun komme ich zu guterletzt noch mit einer unbescheidenen |8| Bitte, nämlich, wenn es Ihnen einmal Ihre Zeit erlaubt, daß Sie mir dann die große Freude machen, mir ein paar Zeilen zu schreiben. Es würde mich so sehr glücklich machen. Nun sage ich Ihnen Adieu, und mit tausend, tausend Dank für alle unverdienten Wohlthaten umarmt Sie im Geiste
Ihre treu ergebene
Julie Schumann
Bitte auch an Raesfeldts tausend Grüße! –
die Adresse ist: No 22, 3ter Stock; nicht 21! –

  Absender: Schumann, Julie (37650)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: Schönau
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
408-411

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 95a/b/c/d
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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