23.01.2024

Briefe



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ID: 26725
Geschrieben am: Montag 15.03.1858
 

Jena d. 15 März 1858.
Meine liebe Elise,
gestern bin ich endlich hier angelangt, und eile Dich zu benachrichtigen, daß ich Deinen Fritz gesehen, und einen prächtigen, wohl und kräftig aussehenden Jungen gefunden. Stoy sagte mir, daß es ganz merkwürdig sey, wie sehr er sich gekräfftigt, er sey so zart gewesen, und jetzt hat er rothe Backen, und sieht so stämmig aus, daß es eine Freude ist. Er hat sich sehr schnell da eingewöhnt, und schien mir sehr vergnügt; es war gerade Sonntag, und kam |2| ich zu einer kleinen lustigen Gesellschaft, wo sie eben einen Theil des Messias gesungen hatten; sie waren Alle höchst vergnügt, und kann ich nicht anders sagen, als daß mir das Ganze einen gemüthlichen Eindruck gemacht hat.
Meine Knaben fand ich munter, gewachsen, und Herrn Stoy viel zufriedener mit ihnen als früher. Sie sangen einige zweistimmige Lieder, Zweie von meinem Manne, das war reizend anzuhören. Ludwig sang allerliebst die zweite Stimme, und blickte dabei so hübsch auf mit seinen beiden großen Augen, daß mir’s ganz wehmüthig wurde – warum konnte mein Robert nicht die Freude |3| erleben seine reizenden Kinderlieder von seinen Kindern zu hören! warum ist nur mir Alles zugetheilt, die ich es bei weitem nicht verdiene!
Ich reise heute Nachmittag zurück nach Berlin und bleibe vorläufig 1–2 Monat dort. Es ist mir noch überall sehr gut gegangen, und der schönste Beschluß war in Winterthur, wo jedenfalls das kunstsinnigste Publikum ist, da konnte ich Stücke recht nach meines Herzens Neigung wählen. – Mit dem Verdienst freilich sieht es nicht aus, wie es nach fünf Monaten angestrengtester Arbeit sein könnte, ich habe eben nur so viel um etwa 8 Monat leben zu können! –
Von den Kindern hörte ich das Beste, nur <von> über Marie schwere Klagen, und macht mir das Kind große Sorge. Ich habe mir vorgenommen es jetzt einmal ganz allein, ohne jede Einmischung, mir ihr zu versuchen, und hoffe davon, wenn auch schwach, noch Etwas.
Der lieben Mila ihren letzten Brief habe ich erhalten, danke ihr sehr, und seyd mir Alle herzlichst gegrüßt! –
Verzeihe die gräuliche Schrifft – ich bin aber sehr erregt und ermüdet, fast direct kam ich aus der Schweiz hierher.
Bald höre ich wohl wieder von Euch? [„]Berlin, Dessauer Straße Nro 2, 2ter Stock.“
Innigst Deine
Clara.
Deiner Mutter meine schönsten Grüße und Wünsche, Emilie natürlich auch, Hedwig, Cilli – – – – – – ..
Sicherheit halber schreibe ich unfrankirt. Thut Ihr doch auch lieber so.
Stoy’s trugen mir Grüße an Dich auf.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Jena
  Empfänger: Pacher, Elise von, geb. List (1162)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
355ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides 75a/b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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