23.01.2024

Briefe



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ID: 26687
Geschrieben am: Montag 09.05.1836 bis: 10.05.1836
 

9. oder 10. Mai 1836
Liebe beste gute schöne
prächtige, nachsichtige, trostzusprechende
Meisterin,
Es ist halb 10 Uhr, und obgleich schon so spät, so hab ich doch erst Kafee getrunken, und mich nach langen Zureden entschlossen, erst Donnerstag früh um 6 Uhr hier weg zu fahren, würde also um 12 Uhr in Leipzig sein; da man aber nach dem Fahren hungrig ist, so bitt ich Dich, meine Eltern zu bitten, in meinem Namen uns, wenn wir um 12 Uhr noch nicht da sind etwas zu Essen aufzuheben, damit diese Reise nicht etwa nachtheilich auf unsere Gesundheit wirken möchte. Ferner sag meinen Eltern das [sic] die Grossmutter ganz munter ist und sich sehr gefreut hat <da ich> daß sie uns noch einmal gesehen. <hat> Bitte – erfülle – entschuldige – und – – –
An dem Englischen bin ich gescheitert, ach, glaube mir, ich hab bald den Verstand verloren vor Aerger darüber. Zwei Stunden hab ich geses¬sen und in der Gramaire nach Wörtern gesucht – ach nein, gehascht hab ich darnach – aber ach, – mein sonst so reifer Verstand – fiel aus der Rolle und scheiterte an den Sprachlaunen unserer Vorfahren. – Doch Englisch lern ich fleissig hier, denn was sollt ich auch sonst machen?
|2| Gesnitz [sic] ist eine hübsche reinliche aber – Todte – Stadt, <Nur> nur ein Unglück ist es hier, dass das ganze Nest voll von Verwandten von uns steckt. Warum nur das Dorf nicht Wieck heist? das ist immer mein Gedanke. Doch <ha> was hilft mir das denken, ich kann den Leuten doch den Kopf nicht zurecht setzen. – Wir werden hier wie Wunderthiere an¬gesehen. Ueberall wo wir vorbeigehen gucken die Leute zu den Fenstern heraus und wagen kaum den Saum meines Kleides zu küssen. Alles bückt sich mit Ehrfurcht vor uns und nun erst als wir hier ankamen! –
Die ganze Brücke war voll von Menschen, die ganzen Gassenjun¬gen von Gessnitz liefen zusammen. Mitten auf der Brücke wurden wir mit dem Wagen angehalten und mit den Worten – Ich hab ein gutes Cla¬vier, ich hab auch ein gutes, und ich erst, ich hab das Beste hier schrie ein Dritter – begrüsst. Ein schöner Empfang für mich! – Schrecken |3| mahlte sich auf meinem Gesicht und ich dankte Gott als ich die Reihen der Gessnitzer Clavierenthusiasten durchschritten hatte, welche übrigens unter uns gesagt die Mäuler aufsperrten wie dumme Jungen wenn sie ei¬nen Elephanten sehen. Du denkst vielleicht in Deinen Gedanken, nun die Clara, die hat viel ähnliches damit, doch das <muss> ┌will┐ ich Dir ┌nicht┐ wiederlegen, sondern das wiederlegen Dir meine Claviertatzen, denen die Elephantentatzen doch nicht nachkommen können. Ueberlege es Dir, und Du wirst mich als Deines Gleichen ansehen.
Mein Papier geht zu Ende, und wenn auch das nicht wäre, so würde ich doch schliessen. Denn um mich herum wird so viel von Seilerwaaren gesprochen, dass ich Angst habe die <> Stricke mögten mir in die Hand und aus der Hand durch die Feder auf das Papier fallen. –
Nun Adio! <Wir sehrn> Du thust mir einen Gefallen Einiges aus dem Briefe dem Vater vorzulesen.
Ich sehe dich hoffentlich Donnerstag, sowie Du auch Deine
Clara
siehst, ohne dass sie sich erhangen hat.
|4| < Ich sehe> Ich sehe ein, dass ich noch einen Umschlag um das Pap¬pier machen muss darum noch einmal, Adio, <> my dear, dear good and pretty Emilie.
_____________
Grüsse Brüder, Eltern, Schwestern, Neffe’s und – worin ich vollkom¬men bin – die Liebe, ja Die grüsse von einer Gesnitzer Seilersfrau. – – – – – – – –
Du wunderst Dich gewiss dass ich Lateinisch geschrieben. Lass Dich das nicht erstaunen, denn hätt ich Dir Deutsch geschrieben, so hätt ich Dir am Ende vieles geschrieben, was auf dem Pappier nichts nutzt, doch Lateinisch kann ich die Worte nicht so gut finden und daher mein reifer Verstand.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Jessnitz
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
79ff.

  Standort/Quelle:*) Autograph, Slg. Cornides 2a/b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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