23.01.2024

Briefe



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ID: 26608
Geschrieben am: Montag 03.02.1834
 

Magdeburg, d. 3ten Februar [1834?]
Liebe Frau,
Nachdem wir den 1. Debr. in Schönebeck Concert gegeben, waren wir den 2ten zurückgekehrt, um sogleich Probe für die Harmonie heute zu halten.
Lasse 20 Preiscouranten vom Pfte [Pianoforte] Magaz. schreiben u. schicke mir sie mit, wenn ich noch Flügel verlange. Schicke ferner mit von Claras Compositionen, was sie angefangen hat über Marschner’s Ehren [?] aus Hans Heiling „so wollen wir auf kurze Zeit“ zu componieren. Sie muß es fertig machen, weil ich Marschner davon geschrieben habe u. das seiner Eitelkeit schmeicheln wird. Wir wollen garnicht in Halberstadt bleiben, wenn sich nicht gleich ein brillantes Concert macht – sondern über Braunschweig nach Hannover gehen, um dann sogleich wieder zurückzukehren. Zu Halle ist jetzt keine Zeit – da werden wir von Leipzig hingehen. Nächsten Sonnabend spielt Clara im Kasino zum 8ten Male – u. nun fort. – Ich habe die guten Rathschläge der alten Weiber u. die Fressereien satt – habe bewiesen, daß Clara sogar Magdeburg unerhört erwärmen kann und – nun fort. – Ich bleibe nicht wieder so lange an einem Ort, wenn wir nicht jede Woche 100 RL Überschuß haben. Wir haben dies zwar hier, aber Clara hat zu viel dafür spielen müssen. Einmal spielen muß immer 100 RL einbringen. Noch kurze Zeit u. wir erhöhen die Preise. Hier heißt Clara nur die Sonntag und der Paganini und wird als diese in der Magdeburger politischen Zeitung besungen – alt u. jung liegt ihr zu Füßen, und sie hat den Magdeburgern die Köpfe verrückt. Über das schlechte und unähnliche Bild, was ich in den Kunstgewölben habe ausstellen lassen raisonniert man allgemein. Z. B. die Nase ist gänzlich verzeichnet, und nun wäre ja Clara weit hübscher pp. Hier hätten können 50 Stück verkauft werden – so ist nicht eines verkauft worden, denn der Unwille ist allgemein. Zwei geschickte Maler wollen sie lithographieren lassen, aber sie hat ja nicht Zeit zum Sitzen.
Den 4ten Clara hat gestern zum letzten Male in Magdeburg gespielt und wir können die 5 Louisdor übermorgen im Casino nicht mitnehmen, sondern müssen da ab nach Halberstadt. Höre, daß mich gestern Abend die Angst und der Ärger nicht ums Leben gebracht hat – ist ein Wunder. Denke dir, es waren wieder 600 Menschen und unerhört voll der Clara wegen; das Instrument fängt an im ersten Theile (im Finale von Chopins Concert) in den Tasten zu stocken, doch es geht glücklich unter tausend Angst u. von Schweisse triefend vorüber. In der Pause muß ich vor dem ganzen Publikum die Klaviatur herausnehmen u. die Tasten machen. Es geht auch – nun kommt im 2ten Theile staccato Variationen, jetzt stockt der ganze Dämpfer und auch 10 der einzelnen. Was soll ich thun? Clara spielt, darf den Dämpfer nicht heben (weil er nicht wieder nieder fällt) und ich drücke vor dem ganzen Publikum viele 100 mal die einzelnen Dämpfer während des Spiels immer wieder nieder. – Clara spielte ja doch wie ein Gott mit unerhörtem Applaus u. einstimmigem Bravo. Ich war in Schweiß gebadet u. mußte sogleich fort im Galopp, ½ Stunde weit nach Hause, um mich umzuziehen. Ist es nicht schrecklich, so etwas erleben zu müssen, da ich diesen Kunstfreund beschworen habe, alles so zu machen wie bei C. Graf u. Bayer? Sie haben nämlich alles zu streng gemacht und nicht daran gedacht, daß, wenn das Leder etwas feucht von der Menschenhitze wird, dann alles stocken muß. Ist es nicht erschrecklich, wenn ich daran denke, wie Herr Mohn u. R. ganz beleidigt zu mir kamen, weil ich gesagt hatte „Sie haben noch viel von C. Graf zu lernen“? – Alle Käufe sind zurückgegangen, u. ich muß nun den Flügel zu Hause schicken. Hätte er sich gestern gehalten, so hätte ich ihn in der Harmonia noch für 250 Rl verkauft. Denke Dir einmal den Verlust? Es ist schrecklich, daß solche Leute alles besser wissen u. nichts annehmen wollen. Wären sie folgsam u. nicht so eingebildet, so hätte ich hier außerdem noch 3 Flügel verkauft. Jetzt ist mein Credit dahin.
d. 5ten. Es ist nicht zu ändern, Clara muß morgen auf einem alten W. Flügel zum 8ten Male spielen, u. d. 8ten können wir erst abreisen nach Halberstadt. Eben erhalte ich deinen Brief. Mein geliebtes Tinchen, glaube mir, ich wäre lieber zu Hause und versäume am Ende eben so viel, aber sey billig – woran das Leben hängt, das hat man lieb. Soll ich denn nicht die Freude erleben, daß eine Stadt nach der andern sagt und schreibt „wir haben den ersten Klavierspieler gehört“. Wird etwa Clara in Leipzig erkannt, wenn Fink schreibt, sie hat das bekannte La ci darem von Chopin gespielt und Knorr das Trio v. Chopin (die größte Klavierensemble-Leistung welche ja in Leipzig gehört worden) garnicht erwähnt, die N. M. Ztg. aber bis jetzt noch nichts gesagt hat als daß sie „Clara“ heißt? Ich bin ja selbst an meiner großen Tochter irre geworden. Ortlepp ist der einzige, welcher über meine Tochter mit wahrer Anerkennung geschrieben hat. Grüße Bürk u. sage ihm, daß er sogleich einrücken soll: daß ich wegen einer längeren Kunstreise mit meiner Tochter von der Redaction zurückgetreten sey. Kind, backe Stollen, gib der Hanne was Du willst – alle Uebrigen werden wohl gewiß warten können bis ich komme, denn ehe ich nach Kopenhagen gehe, komme ich wieder zu Hause und für Berlin muß ich einen ganzen Winter haben, um eine Reihe von Concerten zu geben, sonst tritt Clara da nicht auf. Ich schreibe von Halberstadt wieder u. küsse dich liebevoll.
Fr. Wieck

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Magdeburg
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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