23.01.2024

Briefe



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ID: 26606
Geschrieben am: Donnerstag 16.02.1832
 

Paris, den 16. Februar 1832
Meine geliebte Frau,
Wir sind also 120 Meilen von Dir in Paris. Jeder unserer Gönner in Frankfurt hätte es uns verdacht, wenn wir die 40 Meilen nach Paris nicht noch daran gezwängt hätten. – Nun, als wir d. 5. in Darmstadt mit ungeheurem Beifall aufgetreten waren, reisten wir nach Mainz d. 8. u. fuhren mit Schritt d. 10. nach Bibrich! zum Kapellmeister Hummel, gaben kein Concert in Mainz, das uns ja nichts helfen konnte u. uns 12 Tage aufgehalten hätte, die wir in Paris so hoch anschlagen müssen, u. reisten mit Diligence hierher. Gott, was habe ich ausgestanden, die schlechtesten Wege u. die schlechtesten Diligencen in Frankreich. Kurz und gut in Metz mußten wir 3 Plätze nehmen, um nur zur Noth sitzen zu können im Interieure. Es haben nur 4 Platz, aber 6 wurden hineingepfropft. Nämlich diese Diligencen sind Privatunternehmen u. alles ist auf’s Prellen abgesehen. Clara hat alles ausgehalten wie ein Russe u. meinte zu Fechner, der uns erwartete an der Post, nachdem wir 4 Tage u. Nächte gefahren waren, sie wollte gleich noch 4 Nächte fahren. Es fuhr noch eine Dame aus Hanau mit von 20 Jahren, welche vielemal ohnmächtig wurde unterwegs. Clara konnte dies gar nicht begreifen. Doch, meine Liebe, ich kann nur wenig schreiben, wie kostbar ist hier die Zeit. Hätten wir Fechner nicht, so wäre es zum verzweifeln. Unser Französisch hilft uns garnichts, un pauvre allemand ne comprend pas un mot à Paris. Unsere außerordentlichen Empfehlungen an Rothschild, an die Gesandten pp können wir garnicht abgeben, bis wir französisch sprechen u. verstehen können. Unser guter Speier in Frankfurt hat uns zufällig an Mad. Leo hier einen Brief mitgegeben, wo Fechner auch Hausfreund ist – diese spricht deutsch u. wenn diese sich nicht unserer annimmt, so weiß ich nicht, was werden soll. Wie soll Clara alle ihre Bedürfnisse einkaufen? – Aber, was, erzählt uns Fechner schon, wie sehnlichst erwartet man schon die Clara? mit welcher Liebe werden wir aufgenommen werden? Und nun verstehen wir Esels kein Wort! – Clara ist jetzt bei einer kleinen Französin von 12 Jahren, (durch Fechner hingebracht) u. deren Mutter wird einiges kaufen für Clara, unter anderen 1 Hut, Schuhe pp pp. Wir werden 4 Wochen hier ganz unbekannt bleiben müssen, um nur erst uns einrichten zu können. Doch Fechner hat uns schon von nächsten Sonnabend an 3 Abende untergebracht. An ein Auftreten ist garnicht jetzt zu denken u. Clara hat nun so lange nicht geübt? Nun Gott mag helfen. Morgen früh gehe ich zu Chopin – er wohnt in der Nähe, schon haben wir 1 Hut für mich gekauft, eben werden Visitenkarten gestochen, morgen früh kommen Schneider u. Schuhmacher, um einen Franzosen aus mir zu machen – der leider aber nicht französisch sprechen kann. Wir können nichts allein kaufen, nicht aber mal allein essen, denn uns versteht man nicht u. wir verstehen nichts. – Gestern Abend waren wir noch auf dem Boulevard u. in einigen Bazars. Nun, die Beschreibung erlasse mir. Dazu habe ich wirklich keine Lust, so außerordentlich, als es ist. – Mich drückt es noch gar zu sehr: alles anders, man schläft anders, ißt, trinkt – kurz alles ist anders, ich habe keine Bequemlichkeit, nur das einzige, daß ich 50 Cigarren mit hereingebracht. Unterwegs darf man nicht rauchen, also nach 4 Tagen rauche ich heute zum ersten male – aber bereits die 3 te. Man raucht hier nicht, auch nicht, in den Caffé’s – nur auf der Stube; aber wenn die Soirées für uns angehen, darf ich auch das nicht mehr, weil es die Damen an den Kleidern riechen würden, was eine Todsünde ist. – Was ich aber für Clara thue, das kann sie nicht wieder gut machen. Sich allem entsagen zu müssen, 4 Wochen lang alle Tage 6 Stunden französisch zu lernen, wozu sie immer noch Gesichter zieht u. nun niemand versteht, auch nicht die bekanntesten Wörter, weil es die Franzosen ja zu schnell u. nicht laut sagen, - kurz – erlasse mir alles, ich mag Dir nicht mehr schreiben, aber ich versichere Dir, wenn es Gott will, komme ich über Straßburg oder Brüssel u. Rotterdam von da mit einem Dampfschiff nach Hamburg direct nach Hause von hier, ohne unterwegs mehr als höchstens 2 mal aufzutreten. Man rathet uns, von hier aus erst in ganz Frankreich, Nancy, Metz pp aufzutreten. Aber daran ist nicht zu denken. Nun habe ich auch noch bedeutende Anfälle von Zahnschmerzen dazu u. habe mich mit diesen in die Diligence gesetzt. Aber es ging besser, als ich dachte. Gott mag helfen. Ach! was frieren wir! Diese elenden Camines! u. diese Kälte jetzt hier – es kann bei Euch nicht kälter seyn. Und nun die Fußboden alle von Stein! – Alles ist hier auf das Äußerste berechnet. Immer alles schmutzig u. dreckig. Der Ekel ist aber längst schon von uns überwunden. Ein Pianoforte würde uns auch garnichts helfen, denn in diesen Zimmern kann man keine warmen Finger bekommen, u. Clara nun vollends nicht. – Eben habe ich mir 1 Bouteille Bier bringen lassen, es ist nicht schlecht u. 1 Cigarre dazu!
d. 17. Gestern Abend hat Clara schon bei Mad. Valentin u. Mad. Leo gespielt vor einer ziemlichen Gesellschaft. Mendelssohn war auch da u. mehrere Deutsche. Clara war sehr naiv. Sie mußte gleich 2 Kleider haben, u. 1 Hut haben wir schon gekauft. Du hättest sehen sollen, welchen Beifall man der Clara schenkte, davon haben wir Deutschen keinen Begriff. Auf den Sonntag sind wir dahin zu einer großen Soirée gebeten u. wir sollen uns 1 Instrument hinbringen lassen; das ist hier gebräuchlich u. thut jeder Klavierspieler. Clara sagte aber: „mes dames, c‘est ne pas necessaire pour moi, on ne l’aime pas en Allemange“. – Sie fängt an, gut zu sprechen u. bekommt schon den Pariser Accent“. –
Unsere übrigen Empfehlungen dürfen wir nun nicht mehr abgeben, weil sonst alle Abende besetzt werden würden u. wir kein Theater Robert le Diable, La Blanche Rubin pp. hören könnten. Nur heute noch gehen wir zu Chopin, Baillot, Lafont, Paer, Meyerbeer pp, um freien Eintritt ins ital. Theater u. Adacemie royale zu bekommen, was ungeheuer theuer ist. –
Du solltest uns Kaffee trinken sehen, aus ungeheuern Tassen mit Butterbrot! u. sehen wie alles anders ist als zu Hause. Die Soirées gehen 10 Uhr an u. endigen 1 Uhr des nachts. Abends 5 Uhr essen wir Mittag. Nun jetzt kommt die Nähterin, die Wäscherin, pp. Gott! Du solltest dieses Leben hier sehen. Ce n’est pas dire! Gestern waren wir bei Kalkbrenner, Herz pp. Chopin’s Concert war d. 15. Jan. angekündigt u. ist wieder verschoben. Die Steckeln ist gekommen, daß die Cholera in London sey. Riskirt sie bei dem ungeheuren Verkehr den Canal, so müssen wir am Ende schon in 14 Tagen wieder fort. Adressiere deinen Brief an Fechner, der Sicherheit wegen. Wir wohnen rue Bergère Hotel Bergère, Faubourg Montmartre. – Man lacht uns aus, wenn wir sagen, in 2 Monaten wieder fortgehen zu wollen. Ein Künstler könne hier unter 6 Monaten nicht wieder fort. Nun meine Geliebte, es ist dir doch in gewisser Hinsicht lieb, daß wir nach dem großen Paris gegangen sind. In 14 Tagen schreibe ich wieder, aber nicht eher, denn die Zeit ist hier gar zu theuer. Mündlich erzähle ich Dir alles. Schreibe Du aber nunmehr. Paris kennen zu lernen, ist garnicht möglich in unserer Lage, wenn Clara bekannt werden soll. Es ist heute wieder sehr kalt u. wir frieren zum verzweifeln. Welcher äußere Glanz hier herrscht ist unbeschreiblich. Clara muß immer ganz weiß gehen; in jeder Soirée muß alles neu seyn – nur alles äußerlich – gewaschen braucht sie nicht zu seyn u. davon weiß man nichts. Man giebt die ganze Woche über eine kleine Seviette u. jeden Morgen 1 Glas Wasser zum waschen. Das ist der Clara eben recht. Unser Zimmer ist brillant aufgeputzt, große Uhr, Blumen, Vasen pp – aber, welch Abtritt! Diese Löcher sind nicht zu beschreiben. Doch ich will schließen, wie könnte ich Dir nur einen Begriff von unserem Leben machen. Der Brief soll fort. Ewig
dein Fr. Wieck

Eben habe ich die Physharmonica ausgepackt. Sie ist wohlbehalten hier angekommen. Aber welche Beschwerlichkeit war der doppelte Duane? Überall aufmachen u. in der Nacht wieder zu? Gott! was habe ich ausgestanden? u. nun so ein Kind bei sich, wie Clara? – Könntest Du nur ahnden, was ich alles ertragen habe u. wie gräßlich allemal die ersten 8 Tage sind. Adieu, Gott sey mit uns u. Euch. Fechner läßt grüßen; er ist eben mit der Clara u. der Nähterin fort um einzukaufen.
Grüße alles – auch die Zweifler – auch die Madame Klengel, welche uns auslachte, als der Schlesier nicht gekommen war, um uns nach Paris abzuholen. Sie soll ja das Maul nun noch weiter aufsperren. – Grüße Schumann, die Deinigen pp.

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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