23.01.2024

Briefe



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ID: 26592
Geschrieben am: Freitag 12.03.1830
 

Dresden, den 12. März 1830

Mein geliebtes Weibsen,
Umnebelt von durftendem Weihrauch (bedenke, wie poetisch bin ich schon geworden) schreibe ich heute an dich. Wir finden hier eine nicht geahndete Aufnahme, so z. B. sind wir bis zum Dienstag alle Tage 2 mal Mittags und Abends weggebeten, nächsten Sonntag aber drei mal, nämlich außerdem zu einer musikalischen Morgenunterhaltung zu Arnstädts. Höre, mein Kind, Claras musikalische Ausbildung (nicht allein als Virtuosin) findet jeder hier für fabelhaft und so will denn jeder ausgezeichnete Spieler dieselbe auch hören und sich von dem nie Gehörten überzeugen. Auch wissen nachher die Leute nicht, wen sie mehr bewundern sollen, ob das Kind oder den Vater als Lehrer pp, doch meine liebenswürdige Dir wohlbekannte Bescheidenheit gebietet mir – zu schweigen über das Weitere.
Aber „hierbleiben“ erschallt von allen Seiten. Die allergrößten Klavierspieler wollen bei mir Stunden nehmen und mich und dich ja gern ernähren. Doch Du weißt, wir wollen höher hinaus, wenn mir Gott das Leben noch schenkt. – Mein Befinden ist ungewöhnlich gut, aber ich esse auch Früh und Abends nichts, wegen der späten Mittagstafel um 2 Uhr und enthalte mich stets alles Weines und aller der unzähligen Süßigkeiten, und weil Clara dies auch tut, und sich überhaupt sehr liebenswürdig und mäßig zeigt, und garnicht eigensinnig, so sind wir Beide wohl und vergnügt. Nur bitte ich dich, von der Clara keinen Brief zu verlangen, denn sie ist zu sehr mit Musik beschäftigt, da sie jeden Tag immer wieder andere Stücke spielt, was eben die Leute in das allergrößte Staunen versetzt.
Gestern Abend spielte sie vor 40 der vornehmsten adeligen Familien von hier. Alle wollen sich verwenden, daß sie bei Hofe spiele, doch das nächste Hofkonzert ist erst in 14 Tagen und so lange möchte ich doch nicht gern bleiben. – Aber daß wir nach Bischoffswerda und Bautzen wollen, darüber lacht man uns aus. Erstens weil an beiden Orten weder Instrumente wären, welche verdienten, von Clara gespielt zu werden, und zweitens auch kein Mensch, welcher ihr Talent zu schätzen und ihr Spiel zu taxieren wüßte. Indessen die Bischoffswerder wollte ich wenigstens besuchen, doch die Physharmonika nicht mitnehmen, weil mir ein in Bisch. wohlbekannter Herr versicherte, daß daselbst kein Stimmer wäre, welcher erstens Flügel mit der Phys zusammen stimmen könnte, und zweitens noch viel weniger ein Flügel, worauf Clara spielen könnte. Sage dies unserem Pfundt. Eben kommt der Hauslehrer vom Grafen Vitzthum, welcher Clara hören will. Auch spielt sie eben ein Quartett von Ries: Morgen Abend sind wir bei Mad. Kraus und auf dem Sonntag bei Hofrat Carus, wo es fürstlich hergeht. Das seidene Kleid hatte Clara gestern bei Frau von Zehmen an. Ich bin ängstlich, daß doch die ausgezeichnete Ehre und Auszeichnung auf Clara einen Eindruck machen könnte. Keine vornehme Dame ist in den Zirkeln, welche nicht mit ihr spräche. – Merke ich etwas nachteiliges, so reise ich gleich ab, damit sie wieder in die bürgerliche Ordnung komme. Denn ich bin zu stolz auf ihre Anspruchslosigkeit und verkaufe dieselbe um keine Ehren der Welt. Ihre Stimme ist aber durch die Märzluft weg. Und lasse sie auch garnicht singen, und wache über sie mit zärtlicher Sorgfalt. Doch ich muß aufhören und sage nun noch, daß dich eben so liebt
dein Fr. Wieck

Eben kommen noch Einladungen für nächsten Dienstag, Mittwoch, Donnerstag – ich kann sie füglich nicht abschlagen und ich werde es wohl aufgeben, Clara auf einer Bischoffswerder Schachtel taxieren zu lassen.
Clara bekommt die schönsten Zöpfe geflochten von Madame Kraegen und ist ganz glücklich darum. Auch hilft sie mit plätten. Sie ist bei dem Spiel unglaublich dreist und je größer die Gesellschaft, desto besser spielt sie. Kaskels ist die die größte Kennerfamilie, und die erwachsenen Töchter sind unglaublich liebenswürdig gegen Clara, aber Simons einfältig und kleinstädtisch, zucken die Achseln und sind überzeugt, daß alles Windebeutelei ist mit Claras Talent. Wir kommen nicht wieder hin. Mündlich ein Mehreres. Wer wird denn das Gold vor die Säue werfen. Heute Mittag sind wir bei Lengnik. 1000 Grüße von allen. Kraegens sind wieder ziemlich wohl. Adieu meine geliebte Tine. Schreibe bald. Unter 8 Tagen können wir wohl abreisen.

  Absender: Wieck, Friedrich (1709)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Wieck, Clementine (1708)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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